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Besuch am Set

21. Juni 2023 · von Falk Schreiber

„Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)" – Ein (Selbst-)Porträt einer der umstrittensten Persönlichkeiten der Filmgeschichte. Kulturjournalist Falk Schreiber hat eine Hauptprobe in der KuFa besucht und berichtet über die spannende Inszenierung von Markus Dietze und Marie-Theres Schmidt.

Leni Riefenstahl ist vieles: Filmavantgardistin, Nazi-Mitläuferin, Selbstdarstellerin, Ästhetin. John von Düffel hat diese vielschichtige Biografie als Kaleidoskop arrangiert, und Markus Dietze und Marie-Theres Schmidt bringen sein Stück als Kintopp auf die Bühne der Kulturfabrik Koblenz.

Alles hier ist Auftritt, alles Kulisse. Das Telefon klingelt, und Esther Hilsemer als junge Leni Riefenstahl hebt nicht etwa den Hörer ab, nein, sie schwebt zum Apparat. Sie deutet eine Pirouette an, sie hebt dramatisch den Arm, zwischendurch schnippt sie sich einen Wattebausch aus den Zehen, dann erst geht sie ran. Und macht schon aus dem Abheben ein kleines Drama. Kein „Riefenstahl, wer spricht?“, sondern ein kurzer, spöttischer, das Gegenüber in seine Schranken verweisender Monolog: „Ja, hallo? / Natürlich bin ich es / Erkennen Sie meine Stimme nicht? / Der Tonfilm ist erfunden. Also / Mit wem habe ich die Ehre?“ Eine Rampensau, aber eine, die ihr Rampensautum virtuos beherrscht.

Es ist ein warmer Sommerabend in der Kulturfabrik in Lützel, Hauptprobe für John von Düffels „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl (inszeniert von ihr selbst)“. Markus Dietze und Marie-Theres Schmidt haben das Stück im Griff, als Szenenfolge, die sich an biografischen Stationen der Filmregisseurin und Schauspielerin Leni Riefenstahl (1902-2003) entlang bewegt, aber weil das Konzept der Inszenierung immer wieder zwischen vorproduzierten Filmszenen, Livefilm und Theater wechselt, weil das Publikum nicht im Theatersaal verweilt, sondern das alte Fabrikgebäude durchwandert und weil das Stück sich nicht festlegen lässt, mal ernsthafte Theaterbiografie ist, mal wilde Phantasie, mal krachlederne Komödie und mal dunkles Geschichtsdrama, muss immer wieder nachjustiert werden. Wie bekommt man die Zuschauer:innen dazu, die Plätze zu verlassen und den Raum zu wechseln? Und weswegen läuft das Video nicht an der Stelle, an der es die Handlung weitertreiben sollte? Künstlerisch ist die Inszenierung schon recht weit, was noch zu tun ist, ist Logistik.

Und Dietze und Schmidt brauchen diese Logistik. Denn einzig mit einer Nacherzählung ihrer Biografie ließe sich Riefenstahl nicht fassen – die Filmemacherin ist ja nicht von ungefähr umstritten, jede Aussage über sie ist ein Ignorieren von Gegenperspektiven. Der Pionierin von Avantgarde und filmischer Moderne steht die Mitläuferin im Dritten Reich gegenüber. Wenn man von der selbstbewussten und selbstbestimmten Frau spricht, die ihre Filme weitgehend selbst produzierte, verschweigt man, dass Riefenstahl eine enge Freundin Adolf Hitlers war (und eine Konkurrentin von Joseph Goebbels). Wenn man darauf abhebt, dass sie wertschätzend von jüdischen Kollegen sprach, zu denen sie auch ziemlich lange persönliche Freundschaften pflegte, ignoriert man, dass sie beim Dreh ihres Films „Tiefland“ Kompars:innen in Konzentrationslagern casten ließ. Wenn man daran erinnert, dass sie nach 1945 Journalist:innen mit Klagen überzog, die ihre Verstrickungen in die NS-Diktatur recherchierten, verkennt man ihren bis heute reichenden Einfluss auf Kino und Werbeästhetik … Leni Riefenstahl, ein Phantom, das in von Düffels Text als Kaleidoskop auftaucht, als dreifach zersplitterte Figur (der in Koblenz neben Esther Hilsemer auch Raphaela Crossey und Magdalena Lermer ein Gesicht geben). Ein Phantom, das unsicher sein kann, schmeichelnd, charmant. Und gnadenlos.

Und in dieser Vielschichtigkeit ist es dann eben auch die richtige Entscheidung, dass die Geschichte in der Koblenzer Inszenierung als Kintopp gezeigt wird (die Uraufführung des Stücks in Oberhausen wurde zu einer Revue, auch das eine Verfremdung, die die Illusion zerstörte, dass es hier um eine in sich geschlossene Biografie gehen würde). Die Kulturfabrik wird zum Komplex von Studios, der Rundgang durch die einzelnen Räume zum Besuch am Set. Am Set, das gar nicht versucht, von seiner Kulissenhaftigkeit abzulenken. Das Treffen zwischen Riefenstahl und Hitler am Obersalzberg: ein Klettern über Pappmaché-Felsen, die nach Gebrauch achtlos zur Seite geschoben werden. Es macht allerdings Spaß, der Inszenierung dabei zuzusehen, wie sie ihren eigenen Bilder immer wieder entzaubert.

Und das muss man eben auch sehen: „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl“ macht trotz des ernsten Themas großen Spaß. Weil die Darsteller:innen (neben den drei Lenis auch Wolfgang Boelzle, Jana Gwosdek, Jona Mues und Reinhard Rieke) Freude am Mummenschanz haben, am angeklebten Hitlerbärtchen und am angedeuteten Goebbels-Hinken. Und weil das Spiel mit den Filmebenen kein Selbstzweck ist, sondern ein hochkreatives Erweitern des Theaterraums, mit virtuoser Livekameraarbeit von David Finn und Thimo Hehl und einem originellen Live-Bildschnitt von Britta Bischof, die einen immer wieder rätseln lassen, an welcher Stelle der Weltgeschichte man sich gerade befindet. Ist man nun am echten Filmdreh? Oder ist man in der Legende, die eine talentierte Geschichtenerzählerin wie Riefenstahl von sich erfindet?

Diese Selbsterfindung deutet John von Düffel schon im Untertitel von „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl“ an: Die Story ist „inszeniert von ihr selbst“, es ist die Selbstdarstellung einer nur der Kunst verpflichteten Ästhetin, bei der Motive wie die zwangsverpflichteten KZ-Insassen als Störfaktoren den schönen Schein eintrüben. Aber die reine Kunst gibt es nicht, die spanischen Pyrenäen, in denen „Tiefland“ spielt, sind ein schäbiges Studio, und das Pferd, auf dem durch die Berglandschaft geritten wird, ist ein billiger Reitbock. Fürs Publikum aber ist es nicht zuletzt ein komödiantisches Vergnügen, dabei zu sein, wenn solch eine Selbstdarstellung von Dietze und Schmidt mit diebischer Freude dekonstruiert wird.

Text: Falk Schreiber
Fotos: Matthias Baus