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Ein Triumph – Zehn Jahre Puppentheatersparte am Theater Koblenz

11. Dezember 2024 · Manfred Jahnke

Meisterhafte Puppen und lebendige Kunst: Ein Blick hinter die Kulissen und auf die Bühne

Mitte September feierte die Puppentheatersparte am Theater Koblenz ihr zehnjähriges Bestehen mit einer kleinen Gala. Fünf kleine Figuren aus fünf erfolgreichen Produktionen – wie beispielsweise der Wolf aus „Rotkäppchen“ oder Ilse Bromsböttel aus „Warten in Godow“ wurden zusätzlich für diesen Anlass per 3D-Drucker als kleine Fingerpuppen und Schlüsselanhänger vervielfältigt, handbemalt und mit handgenähten Kostümen angetan: Sie können vom Publikum käuflich erworben werden. Das schönste Geschenk aber zum zehnjährigen Jubiläum ist, dass die Abteilung seit Beginn dieser Spielzeit über eine eigene Puppenbauwerkstatt verfügt und mehr noch – einen eigenen Leiter dieser Werkstatt.

Die Werkstatt gleicht einer kleinen Tischlerei, Bandsäge, Bohr- und Schleifmaschine erinnern an eine Tischlerwerkstatt, an der Wand hängt eine Vielzahl an Beiteln und andere Werkzeuge (beeindruckend die Sammlung von unterschiedlichen Zangen). Für eine Tischlerwerkstatt aber wirkt irritierend, dass mitten im Raum eine große Töpferscheibe steht, unter den Tischen Kanister mit Gummimilch gestapelt sind, vereinzelt Masken, geformt aus einem netzartigen Material und mit Ton stabilisiert, auf schmalen Tischen herumliegen. Ein wunderbarer Geruch liegt in der Luft, nach Holz, nach Ton, ganz anders als im vorgelagerten Besprechungszimmer, in dem sich der Duft von Kaffeearomen mit dem Geruch verbindet, der Archiven eigen ist: Lagern hier doch die Puppen der Produktionen aus den letzten Spielzeiten.

Christof von Büren ist der Herr der Werkstatt. Der Schweizer hat Bühnenbild in Berlin, Kunst in Zürich und Enschede, sowie Bildhauerei in Chongqing (China) studiert. Nach dem Studium hat er zunächst für das „Theater des Lachens“ in Frankfurt/Oder gearbeitet. Im Wechsel von freier Arbeit und festem Engagement an Theatern wie Stendal, Greifswald oder Bautzen arbeitet er nun in Koblenz.

Nachgefragt mit welchen Materialien er am liebsten arbeitet, antwortet er, dass er gerne mit Ton modelliert, dann eine Negativform aus Gips erstellt, die dann mit Gummimilch ausgegossen wird – das Ergebnis ist mehrfach reproduzierbar. Darüber hinaus nimmt die Modellierung am Computer mittlerweile einen immer breiteren Raum in seiner Arbeit ein. Gefragt nach seiner Lieblingspuppenform legt er sich nicht fest, er mag irgendwie alle. Bei Holz ist allerdings zu bedenken, dass die Herstellung dieser Puppen sehr viel Arbeitszeit beansprucht. Bei Handpuppen wehrt er sich vehement gegen die Zuschreibung, dass sie nur auf Tempo gespielt werden können. Schaumstoff wird für ihn zu einem wichtigen Material, wenn er Großpuppen gestalten soll und eine heimliche Liebe gilt dem Schattentheater. Christof von Büren weiß genau, was er will. Die ca. 80 Puppenköpfe, die von ihm im Schaufenster der Werkstatt ausgestellt sind – und für die durch Koblenz flanierenden Menschen zu einer neuen Attraktion sich entwickeln könnte, in anderen Städten muss man dazu in Museen gehen – zeugen von seiner Kreativität, hat er doch mehr als 400 Puppen in seiner Theaterzeit geschaffen. 

Auch das Puppentheater ist von den Sanierungsmaßnahmen des Theaters in dieser Spielzeit betroffen und hat sich auf die Suche nach neuen Spielräumen in der Stadt begeben. Bei seiner Suche ist der Leiter Stephan Siegfried z.B. im Mittelrhein-Museum fündig geworden. In seiner „Puppencomedy“ mit dem Titel „Aus den Rahmen gefallen“ macht er keine herkömmliche Führung durch die Ausstellung des Museums, sondern zu zehn Stationen, an denen er berühmte Bilder aus der Kunstgeschichte ausstellt – die dann bespielt werden. Nicht nur, dass die Puppenspieler:innen Tanja Linnekogel, Sophia Walther und Dietmar Bertram sowie die Schauspielerin Isabel Mascarenhas die Bilder animieren, es werden auch Handlungen entwickelt wie bei dem berühmten Bild „Der Gemüsegärtner“ von Giuseppe Arcimboldo, dem nicht nur ständig einzelne Gemüseteile aus dem Gesicht fallen, als das Bild um die eigene Achse gedreht wird, damit der Gemüsegärtner seine peinigenden Kopfschmerzen loswird. „Mona Lisa“ scheint ihr Publikum mit den Augen zu verfolgen, bei anderen Gemälden lösen sich Lippen vom Bild oder ein Kuss will nicht mehr enden, oder es formt sich aus dem „Schrei“ von Edvard Munch ein bewegter aufgerissener Mund, um die Geschichte aus der Perspektive der Nachbarin Selma Sverresdottir, die dem Maler Modell steht, zu erzählen.

Stephan Siegfried erfindet zu den Bildern Geschichten. Er benutzt dabei verschiedene Formate, so verschieden wie auch die Bilder aus vielen Jahrhunderten sind. Er entwickelt pseudowissenschaftliche Kontexte wie die Erforschung der Tonspuren, die im „Schrei“ eingeschrieben sind und per Schallplattennadel wieder zugänglich gemacht werden konnten. Oder er lässt in gereimten Versen mit Endreim vier Selbstporträts von Vincent van Gogh miteinander kommunizieren. Für „Das letzte Abendmahl“ von Leonardo da Vinci hat er eine ausführliche Szene für 13 Puppen geschrieben, die sich hier zur Vereinssitzung treffen. Die Dialoge sind brillant, ernst und komisch zugleich, mit einem parodistischen Unterton und manchmal selbstbezüglich, wenn am Ende der Bau der agierenden Puppen in einer schwindelerregenden Wendung selbst thematisch wird. 

Vom Ensemble wird das in einem atemberaubenden Tempo vorgetragen. Dabei hat es nicht nur Spielaufgaben, sondern es führt auch das Publikum zu den einzelnen Stationen, muss aufpassen, dass die genau getaktete Zeit zwischen den Gängen eingehalten wird. Das Publikum ist in zwei 20-köpfige Gruppen aufgeteilt – Blau und Gelb –, die sich am Anfang, in der Mitte beim „letzten Abendmahl“ und schließlich am Ende wieder treffen. Hier zum Abschluss löst sich auch ein Geheimnis auf. Auf einzelnen Stationen wird eine „Frau im blauen Kleid“ beschworen. Am Ende tritt sie tatsächlich auf: ein großer blauer Puppenkörper, dessen Gesicht erst Kontur annimmt, als ihm einzelne Gesichtsteile – Lippen, Nase, Augen, Ohr – befestigt werden, die zuvor in anderen Gemälden verschwunden waren: Sie fasst zusammen, was das Publikum im Gang durch die Welt der Kunst erlebt hat.

Was Stephan Siegfried und seinem Ensemble gelungen ist, ist eine so unterhaltsame, wie emotional ergreifende Reise in die Welt der Bilder, die man alle zu kennen glaubt – und in „Aus dem Rahmen gefallen“ ganz neu kennenlernt. Mit witzigen Texten, die immer nahe am Bild bleiben, macht er aufmerksam auf Hintergründe, die ganz schön untergründig sein können. Kein Wunder, dass die gesamte Aufführungsserie samt Zusatzterminen ausverkauft ist. Und damit deutlich macht, dass im elften Jahr des Bestehens die Puppentheatersparte am Theater Koblenz zu einem wichtigen Faktor innerhalb der theatralischen Angebote des Hauses geworden ist.

Gratulation!

Text: Kulturjournalist  Manfred Jahnke
Fotos: Isa Steinhäuser