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Emilia Galotti – Trauerspiel, Krimi und Komödie

23. September 2023 · von Falk Schreiber

„Die Inszenierung von Caro Thum ist scharf, konzentriert und mit Bewusstsein für die Fallstricke der Vorlage“ schreibt Kulturjournalist Falk Schreiber und findet, dass sie eine „kluge Lösung“ gefunden hat.

Was sagt einem ein 250 Jahre altes Drama heute noch? Caro Thum inszeniert Lessings „Emilia Galotti“ konzentriert, scharf und mit Bewusstsein für die Fallstricke der Vorlage. Vorab ein Nachspüren der wichtigsten Themenstränge des Bürgerlichen Trauerspiels.

Gotthold Ephraim Lessings 1772 uraufgeführtes Drama „Emilia Galotti“ ist ein problematisches Stück. Im Grunde beschreibt Lessing hier einen Ehrenmord: Die Titelheldin steht kurz vor ihrer Hochzeit, wird allerdings von einem Verehrer umworben. Der lässt sie entführen, worauf sie einige Zeit bei ihm verbringt. Ihr Vater Odoardo geht daraufhin davon aus, dass sie die Ehre der Familie beschmutzt habe, ein Vergehen, das nur durch den Tod gesühnt werden kann. Besondere Brisanz erfährt die Geschichte dadurch, dass der Mord von Emilia gebilligt wird, ärger noch: Sie bringt Odoardo erst dazu, sie zu töten. Eigentlich kann man diese Geschichte heute nicht mehr zeigen – und doch wird das Stück als Paradebeispiel fürs Bürgerliche Trauerspiel landauf, landab inszeniert. Am Theater Koblenz hat Regisseurin Caro Thum eine ganz eigene Lösung für das Problem gefunden, die an dieser Stelle nicht verraten werden soll. Stattdessen lohnt der Blick auf einige thematische Stränge, die „Emilia Galotti“ prägen und die auch in Thums Inszenierung im Mittelpunkt stehen: Sexualität, Macht und Gewalt.

1. Sexualität

Die Gesellschaft, die Lessing hier beschreibt, ist massiv oversexed. Die höfische Welt ohnehin, der Adel, der seine Geliebten je nach Laune an- und ablegt: „Ich habe sie zu lieben geglaubt!“, sinniert Prinz Gonzaga (David Prosenc) zu Beginn über seine Verflossene, Gräfin Orsina (Jana Gwosdek). „Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie wirklich geliebt. Aber – ich habe!“ Dem gegenüber steht eine verklemmte, halbherzige Sexualität im Bürgertum. In einer tieftraurigen Szene versucht Emilia Galottis Mutter Claudia (Raphaela Crossey), ihren Mann Odoardo (Wolfram Boelzle) zu verführen, das Ergebnis ist ein ungeschicktes, lustloses Rumgehampel, dessen Höhepunkt sich in Odoardos Räuspern äußert.

Und Emilia (Esther Hilsemer)? Die hat wahrscheinlich noch keine erotischen Erfahrungen, ihr gutherziger aber ziemlich gehemmter Verlobter (Lukas Winterberger) jedenfalls wirkt nicht, als ob er irgendeine Glut in ihr entfachen würde. Der Punkt ist aber: Natürlich könnte Emilia sexuell aktiv sein, sie ist jung, sie ist hübsch, sie ist auch lebenslustig. Und weil die Welt um sie herum an nichts anderes als an Sex denkt, wird Emilia naturgemäß zur Projektionsfläche für erotische Phantasien. Zu Beginn geht die junge Frau zur Kirche, und Vater Odoardo macht seiner Frau Vorhaltungen, dass sie die Tochter alleine haben gehen lassen. „Die wenigen Schritte!“ verteidigt sich die Mutter, und Odoardo darauf: „Einer ist genug für einen Fehltritt!“

Man muss selbst gar kein besonders sexuell interessierter Mensch sein, um überall Laster und Verderben zu wittern, das kennt man von religiösen Fanatikern jeglicher Couleur. Für Emilia ist das allerdings fatal: Da sie ein paar Stunden mit dem Prinzen alleine in seinen Gemächern verbracht hat, muss die Gesellschaft davon ausgehen, dass es hier zum Äußersten gekommen ist. In einer Welt, in der sich alles um Sexualität dreht, ist nicht denkbar, dass ein junger Mann und eine junge Frau alleine Zeit miteinander verbringen, ohne sich die Kleider vom Leib zu reißen. Womit die Ehre der Familie beschmutzt wäre.

2. Macht

Was Emilia im Zimmer des Prinzen passiert, ist ein sexueller Übergriff, oder zumindest die Planung eines solchen. Wobei, das weiß man aus der Kriminologie, sexuelle Übergriffe in der Regel wenig mit Sexualität zu tun haben: Ein Vergewaltiger will ja gar nicht in erster Linie Sex, und wenn er den nicht bekommt, dann holt er ihn sich eben mit Gewalt, ein Vergewaltiger will vor allem Macht. Und so ist es auch in „Emilia Galotti“: Ständig werden Machtverhältnisse ausgehandelt, am klarsten vielleicht zwischen dem Prinzen und seinem Kammerherrn Marinelli (Jona Mues). Die erste Szene zwischen den Beiden ist ein (in Koblenz sehr genau von Eduard Burza choreografierter) Fechtkampf, der freilich kein höfisches Ritual darstellt, sondern das aggressive Gegockel zweier testosteronüberschwemmter Schnösel. Und auch wenn Marinelli dabei immer wieder die Oberhand gewinnt, ist am Ende klar, wer gewinnen wird – der Prinz steht in der Hierarchie weiter oben, die Machtverhältnisse dürfen nur kurz ins Wanken geraten, am Ende sind sie wieder fest. Wie Thum dieses Machtspiel inszeniert, das hat eine humoristische Qualität, die zeigt, was „Emilia Galotti“ neben dem Bürgerlichen Trauerspiel eben auch ist: Liebesdrama, Krimi – und Komödie. Aber immer innerhalb des Machtgefüges.

Interessant wird es, wo diese Machtbeziehungen verschwimmen. Der Prinz also lässt Emilia entführen und umgarnt sie, entsetzt entwindet sie sich seiner Berührung: „Sie wollen mich doch nicht so?“ ruft sie, worauf er nur „Und warum nicht so?“ blaffen kann – das ist die Androhung einer Vergewaltigung, und es ist bezeichnend, dass der Prinz hier nur noch körperliche Gewalt aufbringt, um seine Macht zu festigen. Damit ist klar, dass Emilia jetzt das Heft in der Hand hält, in der Folge ist sie es, die den Prinzen berührt, und als der seine Hand auf sie legt, schiebt sie diese weg. Emilia überschreitet Grenzen, und sie setzt sie neu.

3. Gewalt

Gewalt durchzieht „Emilia Galotti“, in der sexualisierten Variante, als Mittel, um die Machtverhältnisse zu klären. Aber auch ganz konkret, wenn sie auch in Thums Inszenierung selten ausgespielt, sondern nur als Mauerschau erzählt wird. Die Entführung Emilias vollzieht sich als fingierter Raubüberfall, bei dem angebliche Räuber die Hochzeitsgesellschaft angreifen. Als Marinelli (der den Überfall arrangiert hatte) dem Prinzen vom Geschehen berichtet, erweist sich der Kammerherr als aasiger Schleimer, der die blutigen Details nur scheibchenweise wiedergibt – und der Gewaltakt wirkt so sogar noch drastischer als wenn er explizit auf der Bühne gezeigt werden würde.

Ein Splatter ist „Emilia Galotti“ also nicht, auch in Thums Inszenierung nicht. Wobei gegen Ende dann doch noch Blut fließt. Alte Krimiweisheit: Wenn in der Handlung eine Waffe auftaucht, dann wird sie über kurz oder lang eingesetzt werden. Das Messer, das in den letzten Szenen durch mehrere Hände geht, kommt schließlich zum Einsatz, entsprechend ist im letzten Bild Emilias weißes Negligé blutdurchtränkt. Ein drastischer Schluss, der zeigt, dass die Gewalt, die schon immer das Handeln der Figuren prägte, auch konkrete Folgen nach sich zieht.

Caro Thums Inszenierung dekliniert die Verwerfungen dieses Sex-Macht-Gewalt-Arrangements konzentriert durch. Dafür braucht sie keine direkten Aktualisierungen: Lessings Text ist zwar gekürzt, radikale Eingriffe gibt es aber keine. Und die höfische Welt (die auch bei Lessing keine reale Entsprechung hatte, sondern eher eine Art modellhafte Adelsgesellschaft war), ist intakt – Charlotte Sonja Willis Kostüme sind historisierend, auch die Bühne zeigt einen klassischen Raum. Auch wenn ein riesiges Fotos des Zuschauerraums an der Bühnenrückwand (Bühne: Wolf Gutjahr) darauf hinweist, dass sich das Publikum hier selbst beobachtet. Die Rechtfertigung des Ehrenmordes am Ende allerdings geht natürlich nicht mehr. Aber, wie gesagt, auch dafür hat Thum eine kluge Lösung gefunden, die im Grunde schon in Lessings Figuren angelegt ist.

Text: Falk Schreiber
Fotos: Matthias Baus