BWV 1052 – Ein Ballett von Steffen Fuchs · Musik von Johann Sebastian Bach
Das Cembalokonzert d-Moll, „BWV 1052“ gehört zu den größten und virtuosesten Cembalokonzerten Bachs. Es zeichnet sich durch seine leidenschaftliche Stimmung und seine Freude an der Musik aus. Um 1738 schrieb Johann Sebastian Bach in einer einzigen Partitur den Zyklus seiner Cembalokonzerte nieder. Für die Fassung als Cembalokonzert entwickelte Bach aus dieser hypervirtuosen Geigenstimme einen vollgriffigen Cembalosatz in weitesten Dimensionen mit „clavieristischen“ Effekten. Es wurde nicht nur damals und heute, sondern auch im 19. Jahrhundert aufgeführt, denn es entsprach allen Anforderungen an ein Virtuosen-Konzert und sprach im „Sturm und Drang“ die romantischen Empfindungen an. In hohem Tempo scheint die Melodie förmlich davonzurennen – denn neben dem Cembalo fällt die Solostimme der Streicher, die einen unglaublichen „Drive“ hat, auf.
„[…] Damit dieses eine wohlklingende Harmonie gebe zur Ehre Gottes und zulässiger Ergötzung des Gemüts und soll wie aller Musik … Finis und Endursache anders nicht, als nur zu Gottes Ehre und Recreation des Gemüths sein. Wo dieses nicht in acht genommen wird, da ist’s keine eigentliche Musik sondern teuflisches Geplärr und Geleyer.“
Johann Sebastian Bach 1685-1750
Ein Gespräch mit Choreograf Steffen Fuchs.
Du gehst immer am Beginn deiner Choreografien von der Musik aus?
Ich habe die Musik schon viel gehört und fand die Idee der nicht so deutlich separierten Solostimme sehr spannend – und was man daraus machen kann. Bachs Klangarchitektur strebt nach oben – nicht so hier: Sie geht in die Breite, nimmt den Horizont ein. Die Idee, mit strengen Formen zu spielen, ist bei Bach sehr ausgeprägt.
Du hast dich in deiner bisherigen Arbeit bereits mehrfach mit Johann Sebastian Bach choreografisch auseinandergesetzt.
Ich fragte mich hier: Wie spiele ich mit der strukturellen Vorgabe, die Bach mir gibt?
Aus der symphonischen Tradition kommend, kann ich die Solostimme mit einem Solisten und das „Tutti“ mit der ganzen Compagnie besetzen. Aber hier habe ich etwas Neues gewagt. Für mich hat Bach eine Sonderstellung – es klingt etwas in mir, was kein anderer Komponist berührt.
Ich zähle mal Merkmale auf, die ich als Zuschauerin mit dem Stück assoziiert habe:
Schwarz-Weiß, Licht-Schatten, Humor-Ernst und skulptural-fließend.
Ja, das Ballett „BWV 1052“ ist ein symphonisches Stück – soll heißen, die Betrachterin und der Betrachter sollen sich selbst Assoziationen dazu machen. Ich schreibe niemandem vor, wie er oder sie das Stück zu lesen hat.
Tänzer, die über die Bühne „reiten“, oder hinter einem imaginären Lenkrad sitzen, bevölkern die Bühne…
Richtig, Cartoons haben schon lange einen Einfluss auf meine Kreativität – ich mag die Absurdität. Kunstformen wie Animes (in Japan produzierte Zeichentrickfilme und Zeichentrickserien) sowie Mangas (japanische Comics) oder Cartoons. Grundsätzlich geht es mir hier um die Aufhebung von Gesetzmäßigkeiten. Mein Favorit ist Wile E. Coyote. Hier steckt viel Kreativität drin – aber auch eine Welt, die gar nicht real sein will, wird gezeigt.
Also nicht die klassische Version der Bachinterpretation?
Nein, denn ich wollte etwas Neues machen: Der Humor auf der Bühne kann sehr fein sein, bis hin zu klamaukig. Ich will mich nicht festlegen. Cartoons verbindet man mit den USA – so entstehen imaginäre Bilder. Aber es ist kein Stück über die Staaten. Als neoklassischer Choreograf kann ich mich an verschiedenen Stilen bedienen und das dann so zusammenführen, dass es noch Linien gibt, die der Betrachtende erkennen kann.
Du sagst von dir, du bist gerne Teamplayer. Was meinst du damit?
Für mich ist es spannend, ein Miteinander der Ausstatter:innen, der Bühnenbildner:innen, der Dramaturg:innen bis hin zur Beleuchter:in aufzubauen. Ich gebe viel Freiheit – und alle können sich, nachdem sie wissen, welchen Ansatz ich verfolge, dann erst mal Gedanken zum Kostüm und so weiter machen.
Die Arbeit mit den Tänzern beginnt sechs bis acht Wochen vor der Premiere sagtest du – es entstehen die Schritte im Saal.
Ich gehöre zu den Choreografen, die gerne selbst viel eigenes Material benutzen. Dann sind rund 90 bis 95 Prozent von mir „vorgedacht“. Und diese Vorstellung wird dann mit den Tänzer:innen geprobt, an sie angepasst und der normale kreative Prozess beginnt.
LE SACRE DU PRINTEMPS – Ein Ballett von Liliana Barros · mit Musik von Igor Strawinsky
„Le Sacre du printemps“ gehört zu den Schlüsselwerken der musikalischen Moderne, aufgrund der rhythmischen und klanglichen Strukturen. Die Uraufführung fand am 29. Mai 1913 im Pariser Théatre des Champs-Elysées statt und geriet zu einem Skandal. Denn es löste verschiedene Irritation aus, wie beispielsweise die Abkehr vom musikalischen Wohlklang – denn schon das Fagott beginnt am Anfang extrem hoch – oder der schönen, klaren Linie beim Tanz. Die Besucher und Besucherinnen hatten etwas Orientalisch-exotisches erwartet, nicht so ein avantgardistisches Ballett, das von ihnen nicht verstanden wurde. „Bilder aus dem heidnischen Russland“ heißt Igor Strawinskys Komposition im Untertitel – er war 1911 nach Russland gereist und hatte diverse Vorabstudien betrieben. Das Stück thematisiert die Anbetung der Erde als Gottheit, die ihren Höhepunkt in der rituellen Opferung einer Jungfrau findet, die sich zu Tode tanzt.
„Als ich in St. Petersburg die letzten Seiten des ,Feuervogel‘ niederschrieb, überkam mich eines Tages – völlig unerwartet, denn ich war mit ganz anderen Dingen beschäftigt – die Vision einer großen heidnischen Feier: Alte angesehene Männer (‚Die Weisen‘) sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das zufällig ausgewählt wurde und geopfert werden soll, um den Gott des Frühlings günstig zu stimmen. Das wurde zum Thema von ,Le sacre du printemps‘.“
Igor Strawinsky 1882-1971
Für den zweiten Teil der Aufführung hat sich das Koblenzer Theater eine Gästin geholt: Liliana Barros, eine zeitgenössische Choreografin, die das klassische Ballett in freie Bewegungen auflöst. Auf der Bühne ist alles in Farbe getaucht, es herrscht ein Magenta-Pink vor. Die Tänzerinnen und Tänzer liegen statisch auf den Hügeln im Hintergrund der Bühne und auf dem Boden und kommen langsam in Bewegung. Für ihre Interpretation siedelt Liliana Barros das Stück in einer dystopischen Welt an – deshalb der eiserne Vorhang, die extreme Künstlichkeit der Farben und auf der anderen Seite, das kalte, graue Licht. Uns Zuschauer:innen wird klar: Die Natur, so wie wir sie kennen, gibt es nicht. Di Individuen, die auf der Bühne platziert sind, müssen sich erstmal als Gruppe finden. Es könnten Insekten sein, Blumen oder menschliche Kreaturen – sie „erwachen“ zum Leben. Sie sind exzentrisch in psychedelische Ganzkörperanzüge gekleidet. Bewegen sich mal schnell, mal rauschhaft, dann wieder langsam und seltsam kafkaesk. Sie haben große Steinblöcke dabei und wir Zuschauer:innen bangen, ob die Steine zu Waffen werden oder nicht. Und wir sehen der Gruppe zu, wie sich die Individuen zueinander verhalten. Bleiben sie zusammen als Gruppe oder nicht? Ja, sie bleiben zusammen und ihr „Opfer“ besteht in der Opferung ihrer Individualität, um als Gruppe weiter bestehen zu können.
Im ersten Teil des Ballettabends sind 16 und im zweiten Teilstück zehn Tänzer und Tänzerinnen zu sehen, die eine moderne Choreografie zeigen. „Die Vielfältigkeit, die die Compagnie unter Beweis stellt, ist enorm – und es ist jedes Mal eine große Freude zu sehen, wie schnell sie eine Bewegungssprache lernen und sich auf einen Gast, wie hier auf Liliana Barros einstellen“, ergänzt Steffen Fuchs.
Nach der vielversprechenden Saisoneröffnung und der Ballett-Premiere geht es sofort weiter – eine Neuinszenierung von „Dornröschen“ von Steffen Fuchs steht Anfang Februar 2024 an und eine Wiederaufnahme von „Carmen“ Ende Februar 2024 folgt.
Text: Christina Körner
Fotos: Matthias Baus