Baustellenfortschritt, Sturm, Godow – und eine neue Blogautorin

31. Januar 2025 · Gesa Füßle

Gesa Füßle ist Textfrau. Sie lektoriert Aktuelles und entziffert Altes – wobei sie das Entziffern am liebsten unterrichtet. Sie wohnt in Hamburg hinterm Deich.

Baustellenfortschritt, Sturm, Godow – und eine neue Blogautorin

Ich wurde vom Theater Koblenz eingeladen, um über den Baufortschritt zu berichten und mir gleich noch die AMA-Probe von Shakespeares „Sturm“ anzusehen. AMA steht für „alles mit allem“ und bedeutet, dass erstmalig mit Originalkostümen und -requisiten geprobt wird. Dass ich später auch noch eine Aufführung vom Puppentheater besuchen darf, entpuppt sich (Entschuldigung) als entzückender Bonus.

„Der Sturm“ von William Shakespeare – veraltet ist anders!

Sofort geht es in die Vollen: Probe, Gespräch darüber, Baustelle, Gespräch darüber, Aufführung Puppentheater.
Ich möchte eigentlich alles wissen, denn ich kenne ja noch gar nichts. Also stelle ich weniger Fragen und lasse lieber erzählen, was denjenigen wichtig ist, die am Geschehen dran sind. Wussten Sie beispielsweise, dass der Rückbau des Zelts auf der Festung Ehrenbreitstein drei Monate dauern wird, weil so viel Technik darin verbaut ist? Auch das muss ja eingeplant und eingepreist werden. 

Überhaupt schwindelt mir bei den vielen Details, die im Blick behalten werden müssen, wenn während einer Großbaustelle der Theaterbetrieb aufrechterhalten wird. In der ganzen Stadt sind Spielstätten angemietet worden, an denen entweder geprobt wird oder die für Kostüme, Maske und Werkstätten bereitstehen. Die wichtigste Spielstätte ist das große Zelt auf dem Festungsgelände. Im Foyer sitze ich auf einem der Sofas, die von einem abgespielten Bühnenbild übrig sind, und sehe zu, wie die Zeltplane über mir wabert. Hier könnte ich ewig bleiben, aber ich möchte ja das Stück sehen! Auf der Bühne sieht man hinter einer eindrucksvollen Plastikplane Baumwurzeln in die Höhe ragen, aber mehr verrate ich jetzt nicht.

Ich mag Theater, das für Menschen, die nicht vom Fach sind (= mich), verständlich ist, ohne mir teletubbymäßig die Welt erklären zu wollen. Fast gruselig bekannt kommt mir Prosperos Verhalten vor, der sich in etwa gebiert wie ein Autofahrer (bewusst nicht gegendert), der schon zwei Ampelphasen auf Grün warten musste und jetzt noch schnell bei Rot über die Kreuzung fährt, weil er schließlich auch das Recht hat, endlich weiterzufahren. Es geht um Machtansprüche und Unterdrückung, um Misogynie und um Versprechen, die Untergebenen gegenüber nichts wert sind. Mit anderen Worten: Nicht alle Menschen sind gleich viel wert und das soll bitte auch so bleiben. „Habe ich dich nicht, Dreck, der du bist, menschlich stets behandelt?“ – ein Zitat, das die Denkweise der Herrschenden vortrefflich zusammenfasst. 

Nach der Probe spreche ich mit der durchaus zufrieden wirkenden Regisseurin Caro Thum, die einen bewundernswerten Blick für die kleinen Details hat, die das große Ganze stimmig werden lassen. Warum der „Sturm“, erklärt sich von selbst: Das Stück ist mehr als 400 Jahre nach seiner Entstehung noch immer aktuell. Sklaverei und Kolonien sind abgeschafft? Nun ja. Prospero sieht sich als armes, entmachtetes Opfer. Aus seiner Sicht hat er selbstverständlich mehr zu sagen als der ursprüngliche Inselbewohner. Und auch die Neuankömmlinge auf der Insel spielen sich als Herrschende auf.

Beeindruckende Baustellenbegehung

Nach der Probe habe ich gleich mehrfach die Freude, die Baustelle besichtigen zu können. Erst zeigt mir der technische Direktor Johannes Kessler alle Räume und Gebäudeteile, am Tag darauf nehme ich noch an einer öffentlichen Führung durch den Intendanten Markus Dietze teil. Beiden ist gemein, wie begeistert sie vom Baufortschritt sind und wie sehr sie sich darauf freuen, das Theater wieder in Betrieb zu nehmen. Doch momentan: kaum eine Stelle, an der nichts gemacht wird. Aber es läuft gut und die Bühne wird zum September alles Voraussicht nach betriebsbereit sein.

Verzögerungen gibt es trotzdem. Bei der Menge an Raum scheint mir das aber geradezu lächerlich. Es gibt eine Wand, die gar keine war (jetzt aber eine ist), es gibt eine Wand, die nicht tragend hätte sein sollen, es dann aber einfach doch war, weswegen der geplante Durchbruch erst einmal nicht gemacht werden kann, es gibt Decken, die von 300 auf 500 kg Traglast pro Quadratmeter verstärkt werden sollten, bis sich herausstellte, dass die Verstärkung auf 300 kg zwischen 1980 und 1984 – obwohl offiziell so abgenommen – gar nicht stattgefunden hat, weswegen diese Decken komplett erneuert werden. Ein Stahlträger, der mitten im Nichts endet, trägt halt auch einfach nicht so gut. Es gibt Balken, deren Dienstzeit unerwartet bereits seit einer Weile abgelaufen ist. Dächer müssen verstärkt werden, weil Photovoltaik installiert wird, Fenster mit Einfachverglasung werden – wenig überraschend – erneuert, andere wegen der Photovoltaik versetzt.

45 – 50 Firmen sind beteiligt mit insgesamt mehr als 200 Personen, Abrisse und Neubauten finden stellenweise zeitgleich statt. Die Schalttechnik bekommt einen klimatisierten Raum, sodass sie nicht mehr laut brummen muss. Denn die Kühlung der unterm Dach heißlaufenden Elektronik führte zu diversen Ausfällen. Kühlen verursacht Kondenswasser, zu große Hitze lässt Kabel schmelzen, beides nicht so prima für Elektronik. Das bedeutete jeden Monat Reparaturkosten von mehreren Tausend Euro. Schön, wenn das vorbei ist. Und viel weniger Platz braucht das Ganze jetzt auch, denn die neuen Schaltkästen sind nur einen Bruchteil so groß wie die alten.

Plan ist jetzt, den „Rest“, also alles, was nicht Bühne und Zuschauerraum ist, bis Ende Dezember 2025 fertig zu haben. Während die Bühne also ab Oktober wieder bespielt wird, ist im Hintergrund noch drei Monate lang Baustelle. Auch das wird eine Herausforderung. Aber mal ehrlich: Ein Vierteljahr Verzögerung auf stellenweise sechs Etagen, das sind im Schnitt zwei Wochen pro Etage, da kann man nicht meckern! 

„Und jetzt strecken Sie die Arme mal hoch, Ellbogen auf Augenhöhe, und bewegen den kleinen Finger und den Daumen, das sind jetzt Ihre Arme. Klappen Sie den Ringfinger weg! Das mache ich gleich zwei Stunden lang, haben Sie Mitleid mit mir!“

Den Abend verbringe ich an der Bühne der SKO, der Schauspielschule Koblenz, einer der zahlreichen externen Spielstätten. Stephan Siegfried spielt „Warten in Godow“. Stephan Siegfried ist der Direktor des Puppentheaters und war deshalb am Morgen auch schon bei der Probe vom „Sturm“, denn auch da treten ein paar Puppen auf, die aber nicht so lustig sprechen wie die Godowaner und Godowinnen, ne? Doch zurück zum Abend. Die Schauspielschule bietet ein wunderbar familiäres Ambiente (und ja, ich bin bestechlich, wenn man mir Gebäck hinstellt), sodass gleich für den richtigen Rahmen gesorgt ist. Denn Puppenspiel ist viel näher, interaktiver und dementsprechend familiärer, was nicht zuletzt auch an Stephan Siegfrieds Draht zum Publikum liegt. Das Thema ist aber eigentlich gar nicht so weit weg vom „Sturm“: Fremde, die auf eine Insel kommen, der Unwille von manch einem (schon wieder muss ich nicht gendern; man könnte fast System dahinter vermuten), sich zu ändern, gepaart mit einer gewissen Engstirnigkeit … Allerdings sind die Godower und Godowosinnen lernfähiger als Prospero und Kollegen, die ihre eigenen Defizite nie auch nur ansatzweise erkennen wollen würden. 

Mein Abend endet also versöhnlich: Vielleicht ist die Welt doch nicht grundsätzlich schlecht.

Koblenz jedenfalls hat mich mit offenen Armen empfangen und ich wäre ein Schafsdummes, wenn ich nicht wiederkommen wollen würde. Man flüsterte mir „In Godow Veritas“ ins Ohr (eine Weinprobe mit Puppenspiel!) und „Kristina“ – die deutsche Musicalpremiere von Björn Ulvaeus und Benny Andersson, wie soll ich als Weingerntrinkerin (aber Keineahnungvonweinhaberin) und Skandinavistin da widerstehen? Oder vielmehr: warum sollte ich?

Gesa Füßle ist Textfrau. Sie lektoriert Aktuelles und entziffert Altes – wobei sie das Entziffern am liebsten unterrichtet. Sie wohnt in Hamburg hinterm Deich.

Text: Gesa Füßle
Fotos: Arek Głębocki, Matthias Baus