„Die Glasmenagerie“ – Gesagtes und Ungesagtes

21. Februar 2024 · von Falk Schreiber

Tennessee Williams’ „Die Glasmenagerie“ ist die genaue Beschreibung einer toxischen Familienkonstellation – die in der Koblenzer Inszenierung von Jana Milena Polasek so toxisch gar nicht aussieht. Kulturjournalist Falk Schreiber im Gespräch mit der Regisseurin, mit Dramaturgin Juliane Wulfgramm und mit Ausstatterin Anna Bergemann.

Amanda will nur das Beste für ihre Kinder. Was nicht leicht ist: Tom ist ein verhinderter Schriftsteller, der das Familieneinkommen als Lagerarbeiter verdient, Laura lebt mit einer Behinderung und zeichnet sich zudem durch große Schüchternheit aus. Und trotzdem: Amanda wünscht sich, dass ihre Tochter endlich einen Mann findet. Und nötigt Tom, ein Treffen mit seinem Kollegen Jim zu arrangieren … Tennessee Williams’ „Die Glasmenagerie“ ist die genaue Beschreibung einer toxischen Familienkonstellation – die in der Koblenzer Inszenierung von Jana Milena Polasek so toxisch gar nicht aussieht. Ein Gespräch mit der Regisseurin, mit Dramaturgin Juliane Wulfgramm und mit Ausstatterin Anna Bergemann.

Jana Milena Polasek, Sie haben sich für die Probe heute vorgenommen, in den Szenen immer feiner zu werden. Damit beschreibt man Tennessee Williams’ „Die Glasmenagerie“ schon sehr gut – dieses Stück ist wahnsinnig fein gebaut.
Jana Milena Polasek: Dieser Text funktioniert aus sich heraus: Man muss, anders als in anderen Stücken, gar nicht viel erfinden, die Szenen lösen sich von selbst ein. Er ist tatsächlich sehr fein geschrieben und für uns geht es darum, immer mehr dieser Feinheit zu greifen und Tiefenschärfe zu bekommen.

Ist das für eine Regisseurin nicht ein bisschen unbefriedigend?
Polasek: Für mich nicht. Mir macht sowas Spaß, ich habe so eine Art drittes Ohr für bestimmte Töne, für Purheit, für Authentizität, für Verletzlichkeit. Für die Schauspieler:innen ist das nicht so einfach, weil die weniger haben, wohinter sie sich verstecken können.

Gerade eben haben Sie mit Christof Maria Kaiser, der den Tom spielt, mehrere Monologe geprobt, und da haben sie immer wieder gesagt: „Ja, das ist gut, was du da machst – aber lass das trotzdem mal weg!“
Polasek: Ich mag es gerne, wenn man den Gedanken und den Bildern Raum gibt. Aber das funktioniert nicht immer, das kommt auf den Text an.
Juliane Wulfgramm: Es geht in diesem Stück nicht nur um das Gesagte, sondern auch um das Ungesagte, um das, was zwischen den Figuren passiert. Und das braucht Raum und Fokus.
Polasek: Deswegen haben wir die Schauspieler:innen auch angehalten, zu entschleunigen. Weil da emotional viel passiert. Es geht vor allem um das Ungesagte.

Oft werden die Figuren in „Die Glasmenagerie“ tendenziell unsympathisch dargestellt. Bei Ihrer Inszenierung habe ich dieses Gefühl nicht.
Polasek: Das ist uns wichtig. Es wäre bei diesem Text leicht, Jim als Arschloch zu zeigen, Amanda als unerträgliche Nervensäge, Tom als indifferenten Loser. Aber ich finde das uninteressant. Ich will die Figuren in ihrem Antrieb verstehen.
Wulfgramm: Der Wunsch von Amanda, für ihre Tochter Laura einen Mann zu finden, ist ehrlich. Die will für ihre Kinder die bestmögliche Zukunft. Sie will Laura nicht quälen, sie will sie pushen, und in ihrem Gutmeinen …
Anna Bergemann: … geht sie übers Ziel hinaus.
Wulfgramm: Aber sie ist eine, die will, dass alles gut wird.
Polasek: Frauen hatten es damals sehr schwer: Die hatten ganz wenig Rechte und gleichzeitig wahnsinnig viel Verantwortung. Wenn man wie Amanda sitzengelassen wurde, womöglich mit einem unehelichen Kind, dann flog man aus der Gesellschaft raus. Und ich finde es anerkennenswert, wie Frauen sich damals geschlagen haben.
Wulfgramm: Der Vater von Tom und Laura ist seit 16 Jahren weg, damals waren die Kinder noch klein. Und seither sind die alle massiv abhängig voneinander. Amanda kann ja nicht einfach weggehen und sich einen neuen Mann nehmen – weil sie Laura hat. Und in dieser Abhängigkeit suchen sie nach Freiheiten. Auch wenn sie die nur in der Phantasie finden.

Ist Tom auch abhängig?
Wulfgramm: Er kann auch nicht ausbrechen und die beiden alleine lassen – er ist der Alleinverdiener der Familie. Und als er dann schließlich doch geht, macht er sich das sehr schwer.

Tom ist vor allem kein böser Mensch. Am Ende sagt er, dass es einfach nicht mehr auszuhalten war. Aber wenn das alles Menschen sind, die irgendwie sympathisch sind, und wenn die im Grunde gar nichts falsch machen – weswegen scheitern die dann?
Bergemann: Ganz platt gesagt: Pech gehabt.
Polasek: Vielleicht liegt es daran, dass die gar nicht wahrhaftig miteinander sprechen können. Wenn sie wirklich versuchen würden, Nähe zu leben, dann wäre das vielleicht … immer noch nicht leicht, aber dann würde nicht alles zusammenbrechen. Sie haben es schwer, das sind schwierige Lebensumstände, aber wenn sie anders damit umgehen würden, dann wäre es auch eine andere Geschichte. Gut, dass es keine andere Geschichte ist, sonst hätten wir kein Theaterstück.

Naja, es gibt eine Szene, als Tom und Amanda den Mond anschauen. Da lassen sie Nähe zu, sie berühren sich, nehmen sich in den Arm, das ist eine schöne Intimität zwischen Mutter und Sohn. Und sprachlos sind sie auch nicht.
Polasek: Ja, aber das ist wichtig, damit das Ende wehtut. Wenn sie sich den ganzen Abend ausschließlich auf die Nerven gehen würden, dann tun die mir als Zuschauerin auch nicht leid. Es wäre schön, wenn sich das Publikum bei unserer Inszenierung fragen würde: Weswegen kriegen die das nicht hin? Da können sich viele Menschen drin wiederfinden – man denke nur an Weihnachten! An Weihnachten haben wir ausreichend zu essen, es geht uns gut, irgendwie lieben wir einander auch … Und trotzdem fühlen sich viele Menschen bei diesem Fest oft schlecht.

Den Titel „Die Glasmenagerie“ kann man eins zu eins lesen: Die toxische Familie – die hier gar nicht so toxisch daherkommt – ist eine Glasmenagerie, die schnell kaputtgehen kann. Aber ist es noch mehr?
Bergemann: Unter den gläsernen Tierfiguren gibt es ein Einhorn. Das Einhorn ist Laura, und Jim macht es kaputt, als er ihm das Horn abbricht.
Wulfgramm: Und dann ist sie wie alle anderen Pferde. Wir haben uns immer wieder gefragt, wer hier welches Geheimnis hat: Wer lässt wieviel in sich hineinschauen, wer lässt wieviel Sehnsüchte und Träume im Verborgenen? Das passt für mich zur Glassymbolik, unabhängig von den Glastierchen.

Man könnte es sich einfach machen, und diese Geschichte psychologisch genau erzählen. Aber es gibt auch noch Verfremdungseffekt: Tom spricht immer wieder direkt ins Publikum.
Polasek: Für mich heißt das: Egal, wie schlimm es ist, es gibt eine Möglichkeit der Vermittlung. Die Kunst wird hier zur Verwandlung von Schmerz in Schönheit.
Wulfgramm: Im Epischen Theater steigt man immer wieder aus der Story aus und guckt von außen drauf. Die Gefahr, sich zu sehr in die Handlung reinziehen zu lassen und parteiisch zu werden, ist bei dieser Geschichte sehr groß, und indem Tom das immer wieder durchbricht, wird der ganze Flow kurz unterbrochen. Die Familiensituation ist ja sehr klaustrophobisch, und Williams öffnet das immer wieder, lenkt den Blick von außen drauf.
Bergemann: Und dadurch wird das Leben von Tennessee Williams selbst zum Teil der Geschichte – Tom will ja Schriftsteller sein.

 

Text: Kulturjournalist Falk Schreiber
Fotos: Matthias Baus