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Ein Theater auf Reisen: Gastspiel von „La clemenza di Tito“ im Rokokotheater Schwetzingen

24. Oktober 2024 · Patrick Mertens

Gastspiele stellen Theater vor ganz besondere Herausforderungen, die weit über die reine Logistik hinausgehen – Musikwissenschaftler Patrick Mertens erklärt.

Gastspiele stellen Theater vor ganz besondere Herausforderungen, die weit über die reine Logistik hinausgehen: Nicht nur Personen und Kulissen müssen transportiert werden, sondern auch die künstlerischen Ideen an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Das zeigt sich besonders deutlich am Gastspiel von „La clemenza di Tito“, das am 12. Oktober im Rahmen des Mozartfestes 2024 im Rokokotheater Schwetzingen stattfand.

Die Mozart-Oper in der Inszenierung von Intendant Markus Dietze war letzte Spielzeit bereits im Theater Koblenz zu sehen. Hier fand das Stück – unter anderem wegen der Verwendung der 2002 von Manfred Trojahn neu komponierten Rezitative (die die für die Originalproduktion 1791 in Prag aufgrund von Zeitmangel von Mozart Schüler Franz Xaver Süßmayr geschriebenen Rezitative ersetzen) – überregionale Beachtung und großen Zuspruch beim Publikum. Die ungewöhnliche Mischung aus Mozartklängen und eindringlich-expressiver zeitgenössischer Musik wird in Dietzes Inszenierung mit einer Bildsprache kombiniert, die der Welt der modernen Politik entlehnt ist und damit die zeitlosen Qualitäten der Oper unterstreicht. Diese zeigen sich besonders im Kernthema des Werks, das laut Dietze der „Umgang mit politischer Verantwortung und Macht“ ist.

Vorbereitungen für das Gastspiel

Eine Produktion wie „La clemenza di Tito“ auf Reisen zu schicken, braucht – obwohl die Oper bereits neunmal in Koblenz gespielt wurde – einiges an Vorlauf- und Vorbereitungszeit. Aufgrund der Komplexität der neukomponierten Passagen von Trojahn fanden bereits unmittelbar nach der Spielzeitpause Ende September musikalische Proben statt. Szenisch haben glücklicherweise vier Tage zur Auffrischung ausgereicht, da alle Mitwirkenden bestens vorbereitet waren, wie Regisseur Markus Dietze im Gespräch betont. Zeitlich hätte der Termin für das Gastspiel dabei nicht besser sein können. „Am Anfang der Sanierungsspielzeit ist so ein Gastspiel etwas ganz Tolles“, so Dietze. Eine Produktion wie „La clemenza di Tito“ hätte nämlich in der Ersatzspielstätte diese Spielzeit aufgrund fehlender technischer Möglichkeiten nicht wiederaufgenommen werden können – durch die Einladung aus Schwetzingen kann sie jedoch noch einmal gespielt werden.

Dass die Mozart-Oper als Gastspiel nach Schwetzingen kommen würde, war den Beteiligten von Anfang an bekannt. Die künstlerische Leitung des Mozartfestes kam auf Dietze zu, als dieser ohnehin mit der Idee spielte, Mozarts „La clemenza di Tito“ in Kombination mit den Trojahn-Rezitativen zu machen. „Auf die Inszenierung hatte es keinen Einfluss, dass ein Gastspiel stattfinden wird“, betont Dietze jedoch; auf die Bühnenbildgestaltung allerdings durchaus. Aus früheren Gastspielen in der ehemaligen kurpfälzischen Sommerresidenz (u. a. „Don Giovanni“ 2019) wusste Dietze, dass in Schwetzingen keine Drehscheibe vorhanden ist und es im Gegensatz zu Koblenz nur vier elektrische Züge über die ganze Bühne verteilt gibt, während die restlichen Züge (allesamt Handkonterzüge) händisch bedient werden müssen. Solche technischen Einschränkungen müssen bei der Konzeption natürlich bedacht werden und führen zum Teil bei den Proben, die der Vorstellung in Schwetzingen vorausgingen, noch zu kleineren Änderungen an der Produktion.

Die Reise beginnt…

Nach Probebühnenproben in Koblenz begann am Donnerstag, den 10. Oktober, zwei Tage vor der Premiere, für die ersten Beteiligten an „La clemenza di Tito“ die Reise nach Schwetzingen: Zunächst fuhren Bühnen- und Lichttechnik (zusammen mit dem Bühnenbild) zur Gastspielbühne, um mit dem Aufbau zu beginnen. Bereits am drauffolgenden Abend probte das Regieteam mit den Solist:innen auf der neuen Bühne, um sich an die Gegebenheiten vor Ort zu gewöhnen. „Die größte Herausforderung in Schwetzingen ist die extrem andere Akustik“, berichtet Markus Dietze. Tatsächlich sind schon die leisesten Geräusche auf der Schwetzinger Bühne im gesamten Zuschauerraum bestens zu hören. Entsprechend müssen die Darstellenden szenische Aktionen zum Teil anders ausführen. Während in Koblenz beispielsweise das Anstoßen von Gläsern in der Mitte des ersten Aktes problemlos von der Musik des Orchesters überdeckt wird, muss das Zuprosten in Schwetzingen nahezu lautlos erfolgen, da die klirrenden Geräusche durch die Akustik des Hauses zu sehr verstärkt werden würden.

Gleichzeitig ist die Bühne in Schwetzingen etwas tiefer als die Heimatbühne in Koblenz, sodass die Sängerinnen und Sänger ihre Lautstärke an einigen Stellen anpassen und, wie Dirigent Marcus Merkel bei einer Probe fordert, Töne zum Teil früher singen müssen, da der Schall einen längeren Weg bis zum Zuschauerraum zurücklegen muss. Dass die Monitore, über die die Darstellenden den Dirigenten sehen, zudem in Schwetzingen kleiner sind und an anderen Positionen hängen, ist eine zusätzliche Herausforderung, der in der konzentrierten Probenarbeit mit den Solist:innen vor Ort begegnet werden muss.

Zu einer Produktion wie „La clemenza di Tito“ gehören natürlich jedoch noch wesentlich mehr Personen als Soli, Bühnentechnik, Beleuchtung und Regieteam. Auch Chor, Statisterie, Ankleiderinnen, Requisite, Maske und natürlich das Orchester sind Teil der Produktion und reisen alle bis zur Vorstellung am Samstag sukzessive an. Insgesamt 100 Personen haben sich letztlich für das Gastspiel auf den Weg von Koblenz nach Schwetzingen gemacht, wobei die Probenzeit vor Ort, bei der alle Mitwirkenden und Elemente der Produktion zusammengebracht werden müssen, mit anderthalb Tagen nicht gerade üppig bemessen ist und daher gut genutzt werden muss.

Proben bis zum Schluss: Der Premierentag

Entsprechend wird auch am Tag der Premiere noch intensiv geprobt: Morgens um 10:00 Uhr stehen der Koblenzer Opernchor und die Statisterie zum ersten Mal auf der Bühne in Schwetzingen. Zunächst gilt es auch für sie, die Gegebenheiten vor Ort kennenzulernen – und Regisseur Markus Dietze muss festlegen, welche kleineren Änderungen im Ablauf der Vorstellung vorzunehmen sind. Beispielsweise gibt es in jedem Theater andere Auf- und Abgangsmöglichkeiten, was gerade bei Szenen mit vielen Personen auf der Bühne eine gute Organisation im Vorfeld verlangt. Insbesondere die Sicherheit für die Beteiligten hat dabei oberste Priorität. In Schwetzingen müssen sich die Darstellenden zum Beispiel unter anderem daran gewöhnen, dass es im Hinterbühnenbereich mehrere Stufen gibt, die gerade in dunklen Szenen ein ungewohntes Stolperrisiko für die Koblenzer Gäste darstellen.

Neben dem Gewöhnen an die neuen Bühnengegebenheiten geht es bei der morgendlichen Probe vor Ort zusätzlich darum, die komplexen Umbauten zu üben, die die Beteiligten in Koblenz zum letzten Mal im Dezember 2023 gemacht haben. Da die entsprechenden Sequenzen auf der Probebühne nicht realitätsgetreu nachgestellt werden konnten, gilt es, diese nun unter Originalbedingungen ins Gedächtnis zu rufen und anzupassen. Nach der Probe mit allen Beteiligten ist dann noch etwas Zeit für Korrekturen am Licht, da natürlich auch in diesem Bereich ganz andere technische Voraussetzungen in Schwetzingen herrschen. Erst um kurz vor 15:00 Uhr sind (beinahe) alle Vorbereitungen abgeschlossen, sodass die Beteiligten vor der Premiere noch einmal kurz durchatmen können.

Showtime – letzte Vorbereitungen vor der Vorstellung

Eine lange Pause haben die Mitwirkenden beim Gastspiel allerdings nicht. Bereits um 17:30 Uhr steht eine letzte Anspielprobe an, bei der sich nun auch das Orchester mit der Akustik im Schwetzinger Rokokotheater vertraut machen kann. Für die Darsteller:innen geht es parallel in die Maske, während Markus Dietze dem gespannten Publikum im Foyer eine Einführung in das Werk und seine Inszenierung gibt. Um 18:45 Uhr öffnen sich schließlich die Türen des Zuschauersaals und der Einlass beginnt. Jetzt ist der Moment gekommen, an dem sich zeigen wird, ob die langwierigen Vorbereitungen und die komprimierte, intensive Probenarbeit (insbesondere der vorangegangenen zwei Tage) Früchte tragen.

Nach der Vorstellung ist klar: das tun sie. Zweieinhalb Stunden lang begeistern die Gäste aus Koblenz die Besucher:innen des Schwetzinger Mozartfestes mit ihrer Produktion von „La clemenza di Tito“. Als sich um 21:35 Uhr nach tosendem Applaus der Vorhang schließt, ist den Beteiligten die Erleichterung, dass beim Gastspiel alles reibungslos funktioniert hat, ins Gesicht geschrieben. Für das Team des Theaters Koblenz ist mit dem Schlussapplaus das Gastspiel jedoch keinesfalls beendet. Noch in der Nacht nach der erfolgreichen Vorstellung wird das Bühnenbild abgebaut, sodass am Sonntag die Rückreise nach Koblenz angetreten werden kann.

Text: Musikwissenschaftler Patrick Mertens
Fotos: Hilke Viehöfer-Jürgens, Franziska Hansen