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Hänsel und Gretel – Da stimmt was nicht

15. November 2023 · von Falk Schreiber

Die Geschichte ist bekannt: Hänsel und Gretel verlaufen sich im Wald, Knusperhäuschen, Hexe, Hexenofen, Happy End. In Engelbert Humperdincks Opernfassung ist das Grimmsche Märchen ein vorweihnachtlicher Grusel, zu gleichzeitig komplizierter und wunderschöner Musik. Sebastian Haake singt und spielt die Rolle der Knusperhexe.

Sebastian Haake, was bedeutet Ihnen die Rolle der Hexe in „Hänsel und Gretel“?
Das ist natürlich eine Rolle, die sehr viel Spaß macht. Die ist auch sängerisch anspruchsvoll, weil man schön viel mit der Stimme spielen kann, und gerade wenn man wie ich aus dem Opernchor kommt, dann ist das etwas, worauf man sich freut. Aus den Reihen des Chores singt man zwar schon mal kleinere Partien und auch in der Arbeit des Chores auf der Bühne hat man, besonders in einem so spielfreudigen Chor wie dem des Theaters Koblenz, die Möglichkeit, sich darstellerisch auszutoben. Aber eine solch exponierte Rolle wie die Hexe bietet darstellerisch als auch musikalisch besondere Anforderungen, die nicht alltäglich sind.

Haben Sie ein persönliches Verhältnis zu dem Stück?
Naja, das ist nicht die erste Oper, die ich je gesehen habe, und es ist auch nicht meine besondere Lieblingsoper. Wobei, wenn man Spaß am Spiel und an Charakterrollen hat, dann ist die Hexe natürlich ganz weit vorn. Weil bekannt ist, dass man da viel machen kann.

Das, was Sie da machen, ist auf jeden Fall viel Spiel, anders als manchmal im Musiktheater …
Manche Sänger sagen, dass sie sich bei bestimmten Tönen nicht bewegen können. Es gibt berühmte Opernrollen, bei denen der Sänger auf die Bühne kommt, singt und wieder abgeht, vielleicht hält er noch einen Speer in der Hand. Ich persönlich finde, dass man das mit der Hexe nicht machen darf, dafür steckt da zuviel drin.

Für mich war „Hänsel und Gretel“ ein Einstieg ins Musiktheater, das war die erste oder die zweite Oper, die ich gesehen habe. Angekündigt wird das Stück wörtlich als „Kinderoper“. Aber ist das wirklich was für Kinder?
Das hängt von der Inszenierung ab. Man kann da etwas draus machen, das eine „Familienoper“ ist – das passt vielleicht besser als „Kinderoper“. Dann zeigt man das Sandmännchen, das Taumännchen und eben auch die Hexe, das lässt sich niedlich und schön erzählen. Aber das kann man auch anders machen, man kann zum Beispiel die Hexe wirklich als bösartig darstellen, die Musik gibt das her.

Musikalisch ist das kein Kinderkram.
Wir spielen die große Orchesterfassung, bei der deutlich wird, wieviel da eigentlich drinsteckt. Manche der Melodien sind aus der Oper heraus ins Volkstümliche gewandert, andere hat der Komponist Engelbert Humperdinck aus der Volksmusik genommen, die Motive werden ständig gespiegelt, jeder Kanon, der irgendwie machbar ist, ist drin … Man hört, dass Humperdinck Assistent bei Wagners „Parsifal“ war. Und bei uns hat das Orchester auch die Ausmaße eines „Parsifal“-Orchesters. Es ist komplizierte Musik, hochromantisch – aber wunderschön.

Bringt einen diese Musik als Sänger auch an Grenzen?
Wenn man es will. Es gibt eine Aufnahme mit Peter Schreier, wo alles (spricht überdeutlich) sehr gut geführt ist, aber mir persönlich fehlt da ein bisschen der Schmutz in der Stimme. Ich als Musiktheaterdarsteller habe es gerne, wenn man da mal an seine Grenzen geht, aber es gibt auch Kollegen, die sagen, man müsse das technisch sauber singen. Und das hat alles seine Berechtigung.

Der Begriff „Schmutz in der Stimme“ ist schön. Die Hexe bringt ja tatsächlich Schmutz in die Geschichte, die stört das System.
Auf jeden Fall. Das sind alles Sachen, die muss man sich gut überlegen: Wie weit kann ich gehen, ohne dass man zuviel macht? Aber ich glaube, wir haben da einen ganz guten Zugang gefunden.

Spätestens als sich die Handlung ins Hexenhäuschen verlegt, wird das Stück zum verhältnismäßig harten Stoff. Sie treten erstmal hinter einer Milchglasscheibe auf, da erkennt man Sie gar nicht richtig, und was dann passiert …
Ja, ich fange die Kinder und will sie in meinen Ofen stecken. Das ist schon harter Tobak. Aber das sind die Grimmschen Märchen sowieso. Wenn man mal nicht die Disney-Versionen sieht, dann liegt da eine Düsternis drin, die so oft nicht erzählt wird, weil es heißt, dass das zuviel für Kinder wäre. Aber ich denke, dass Kinder mehr aushalten können, als man denkt, zumindest, wenn man sie dabei gut begleitet.

„Hänsel und Gretel“ wird meistens in der Vorweihnachtszeit gespielt, hier ja auch. Klar, es kommt ein Haus aus Lebkuchen vor. Allerdings ist das Lebkuchenhaus eine Bedrohung.
Eine Falle. Aber das macht die Geschichte spannend: Da entwickelt sich aus der Traumvorstellung des Knusperhäuschens und des endlichen Sattessens ein Terror und ein Schrecken. Und der löst sich dann wieder auf, weil die Kinder schlau genug sind, damit umzugehen.

Verdirbt man damit Kindern die Freude an Weihnachtsplätzchen?
Das sind nur die Erwachsenen, die diese Oper so stark mit Weihnachten verbinden. Für die Kinder könnte man „Hänsel und Gretel“ auch im Sommer spielen, das wäre denen völlig egal.

In jeder Inszenierung von „Hänsel und Gretel“, die ich bislang gesehen habe, war die Hexe mit einem Mann besetzt, so dass ich davon ausging, dass das so sein müsse. Erst in der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich erfahren, dass Komponist Humperdinck das gar nicht besonders gut fand. Weshalb wird das eigentlich so oft gemacht?
In Karlsruhe habe ich einmal „Der kleine Prinz“ als Oper gesehen, da war ein Zwei-Meter-Mann, der im Sopran sang – das war eine andere Farbe als erwartet. Und vielleicht ist es hier genauso. Die Hexe ist ja so ein Zwischenwesen, die ist erst freundlich, und erst später entwickelt sie sich zu diesem Schreckgespenst. Und das ist mit einer männlichen Stimme besser darstellbar als mit einer weiblichen, finde ich. Wenn das von einem Mezzosopran oder einem Sopran gesungen wird, dann klingt es anders, als wenn es erst ganz hoch und freundlich ist, bis dann diese tiefe Stimme kommt.

Das verschiebt diese Figur ein bisschen.
Es ist nicht mehr greifbar, wo sie eigentlich hingehört. Ist sie in einer Zwischenwelt? Ist sie eine Phantasiegestalt? Ist sie eine echte Hexe mit Zauberkräften?

Und auch ein Kind merkt bei der Tenorstimme, dass da etwas nicht zusammenpasst.
Irgendwas stimmt da nicht!

Männer in Frauenkleidern, die sich an kleine Kinder ranmachen – das ist ein Bild, das gerade von rechten Parteien genutzt wird, um Stimmung gegen transidentische und queere Menschen zu machen. In Ihrer Inszenierung kommt das nicht vor, aber denkt man das mit, wenn man diese Rolle spielt?
Natürlich hat man im Theater eine politische Haltung. Und natürlich überlegt man in der Vorbereitung auf die Rolle, was man damit macht. Es gibt auch Inszenierungen, die das bedienen, ich finde das aber nicht nötig, weil: Man kann auch einmal ein Märchen erzählen, ohne dass man gleich alles politisch deutet. Man kann auch mal unterhalten im Theater. Ich finde, man sollte diesen Parteien, die behaupten, Männer in Frauenkleidern seien für Kinder ganz schrecklich, damit begegnen, dass man sie entlarvt, dass man sagt: völliger Schwachsinn!

Text: Falk Schreiber
Fotos: Matthias Baus