Dorothee Lochner, Ihnen ist gestern während der Probe ein Satz rausgerutscht: „Wir sind am Arsch. Ich noch mehr als du, aber trotzdem!“ Das sagt etwas aus über Maria und Elisabeth. Warum sind die am Arsch?
Dorothee Lochner: Sowohl Elisabeth als auch Maria sind beide so stark eingebunden in die Umstände, dass sie da nicht mehr rauskommen. Die Szene gestern war das Aufeinandertreffen der beiden Königinnen, bei dem beide sowohl ihre Macht als auch ihre Ohnmacht fühlen. Maria kämpft ums Überleben, aber sie ahnt, dass es keinen friedlichen Ausgang geben wird.
Und Elisabeth?
Raphaela Crossey: Obwohl sie sich weiter an der Macht halten kann, ist sie auch am Arsch. Über die Art, wie sie sich an der Macht hält, geht sie als Mensch zu Grunde.
Weiß sie das auch?
Crossey: Ich glaube schon. Und das ist das Schlimme. Sie weiß es, und sie weiß, dass sie da nichts gegen tun kann.
Dagegen hat Maria noch Hoffnung. Nur wir als Publikum wissen: Das geht nicht gut.
Lochner: Das darf ich aber in der Figur nicht mitspielen. Dieser Schiller-Text ist nach vorne strebend und hoffnungsvoll, der enthält immer das Gefühl „Es kann nicht sein, was nicht sein darf!“ Und das ist in Maria so angelegt, dieses Stürmende und Drängende. Aber im Privaten ist es ja manchmal auch so, dass man weiß: Es ist brenzlig, die Beziehung geht nicht gut. Und trotzdem ist diese Hoffnung da! Als Funke. Und als Überlebenswille.
Bei der Probe gestern hatte ich das Bild von zwei Tieren im Zoo vor Augen. Eines, nämlich Maria, ist in seinem Käfig gefangen, rüttelt an den Gitterstäben und versucht, irgendwie rauszukommen. Und das andere Tier hat resigniert.
Crossey: Der Mensch Elisabeth hat resigniert. Aber politisch ist das eher eine Desillusionierung, nicht unbedingt Resignation.
Beide Figuren sind in ihrem Handlungsspielraum verhältnismäßig eingeschränkt. Viel machen können die nicht: Elisabeth ist gefangen in Strukturen und Strategien, und Maria ist ganz konkret gefangen. Die eigentlich handelnden Figuren sind andere, Mortimer oder Burleigh etwa.
Crossey: Für die Männer haben diese Handlungen natürlich Konsequenzen. Aber sie sind nicht diejenigen, die vor dem Theater der Welt die Angeklagten sein werden. Das werden immer Maria und Elisabeth sein.
Aber was heißt das für die Figuren konkret?
Crossey: Dass sie sich eigentlich nie so verhalten können, wie sie es wirklich gerne möchten.
Wie ist das denn als Schauspielerin? Sind das dankbare Rollen?
Crossey: Ich glaube, Schauspieler*innen haben oft eine bestimmte Strategie: „Ich fühle etwas – und das kann ich in diese Rolle geben!“ Und das ist bei Elisabeth nicht gegeben. Ich fühle mich da ein bisschen blockiert, ich hätte gerne dieses Gefühl: „Ah! Das fühle ich! Raus damit!“ Ich komme aber gerade darauf, dass das vielleicht etwas ist, das ich nutzen kann für die Figur.
Lochner: Ich habe mich natürlich gefreut, als ich erfahren habe, dass ich Maria spiele. Und mir war klar, dass das eine Menge Holz ist – schon rein praktisch beim Textlernen. Das muss sitzen, sonst geht es nicht. Es braucht auch Mut, sich zu das trauen, und da hilft Schiller, weil er das sehr klar schreibt. Für uns ist das manchmal sogar zu klar, dieses Gut-Böse, aber mir hilft das.
Diese Rollenverteilung hat mich bei „Maria Stuart“ immer gestört. Maria ist die Gute, Elisabeth ist …
Crossey: … die Kalte.
… kalt, intrigant, frömmlerisch, manipulativ. Aber das ist in Wahrheit gar nicht so, oder?
Crossey: Ich glaube nicht. Vieles von dem, was einen an dem Stück stört, hat mit einer nicht wirklich gründlichen Arbeit zu tun. Wenn man an „Maria Stuart“-Inszenierungen aus den Achtzigern denkt – ganz furchtbar! Voller Pathos, intrigante Figuren spielen extra intrigant, Lügner spielen extra böse. Und das kann einem bei diesem Stück auf den Senkel gehen.
Lochner: Ich bin da ambivalent. Das Stück ist schon so geschrieben: Es gibt die böse Königin, und die Gute ist im Gefängnis. Natürlich ist es uninteressant, das so zu spielen: „Ich bin arm und du bist böse!“ Aber ich vertraue dann letztlich auf mein Können, dass das nicht pathetisch wird.
Mögen sich Maria und Elisabeth eigentlich, und nur die Umstände sorgen dafür, dass das nicht geht?
Crossey: Ich weiß nicht, ob sie sich mögen. Auf jeden Fall gibt es in der anderen jeweils etwas, was man sich selbst verboten oder gekappt hat. Und ich glaube, das im Gegenüber zu sehen, ist schmerzhaft, weil einem dann klar wird, was man selbst nicht hat. Elisabeth sagt zwar, dass sie nicht heiraten möchte, aber sie sieht, dass Maria sich das, was sich Elisabeth ersehnt hat, auch genommen hat. Und Maria dürfte an Elisabeth nicht mögen, dass sie dieses „Weil wir Großcousinen sind, gehören wir zusammen“ nicht annimmt.
Das Thema Sexualität ist wichtig für Elisabeth.
Crossey: Ich glaube, es geht da viel um unausgelebte … Lust. Wenn Elisabeth Erotik auslebt, dann nicht mit viel Liebesgefühlen. Sondern permanent mit dem Gefühl „Bisher haben mich fast alle entweder betrogen, verlassen, sind gestorben, haben versucht, mich zu manipulieren, weil ich eine Frau bin, weil sie Männer sind“, also immer mit einer unglaublichen Vorsicht. Ich glaube, das fühlt sich nicht schön an.
Verachtet Maria Elisabeth?
Lochner: Beide Figuren haben aber etwas, das die andere neidisch macht. Maria sagt von sich, sie sei Königin, aber sie lebt im Gefängnis, also – so what? Und Elisabeth wirft Maria vor, sie habe sich Männer gesucht – aber letzten Endes waren auch das Männer, die versucht haben, sie zu manipulieren. Die beiden Königinnen übernehmen eine Rolle, die männlich und bestimmend ist. Und das ist das Weibliche so nicht. Das Thema „Weiblichkeit“ ist bei Maria sicher ein anderes als bei Elisabeth. Gerade weil sie sich Sachen genommen hat, weil sie sich ausgelebt hat. Und da habe ich im Spiel als Maria mehr Möglichkeiten, das auszudrücken.
In der politischen Ästhetik gibt es die Theorie, Angela Merkel sei als Kanzlerin auch deswegen erfolgreich gewesen, weil sie ihre Weiblichkeit immer nach hinten gestellt hätte. Sei mal dahingestellt, ob diese Beobachtung wirklich stimmt, aber als Theorie ist das gar nicht uninteressant. In „Maria Stuart“ finden wir das wieder: Elisabeth gibt sich weniger weiblich als Maria. Und tatsächlich ist Elisabeth regierende Königin, während Maria im Gefängnis sitzt.
Lochner: Es gibt Briefe vom Hoflehrer der echten Elisabeth, in denen beschreibt er, wie sie schon früh sehr verstandesorientiert war. Er schreibt, dass sie rechnen konnte und schreiben, alles Mädchenhafte gehe ihr ab. Und sicherlich kann man bei Angela Merkel so etwas ähnliches beschreiben. Es ist natürlich auch die Frage, was wir uns unter Weiblichkeit vorstellen. Aber Maria lebt davon definitiv mehr aus als Elisabeth.
Crossey: Bei der Frage nach Weiblichkeit ist auch wichtig, wer die Frage stellt, ein Mann oder eine Frau. Eigentlich hat sich nicht so wahnsinnig viel verändert – ja, eine Frau kann heute einen Job machen, sie kann Kinder haben, sie kann verheiratet sein. Aber sobald sie in einer Machtposition ist, ist eine der ersten Fragen: „Kümmert sich der Mann um die Kinder, wenn Sie arbeiten?“ Ich finde erschreckend, dass ich „Maria Stuart“ lese und merke: Das gibt es ja immer noch! Männer, die Macht haben, sind sexy. Frauen, die Macht haben, sind das in unserer Gesellschaft erstmal nicht.
Man kann „Maria Stuart“ als Stück einer Zeitenwende lesen. Der Konflikt zwischen den Figuren findet sich wieder im Übergang in die Moderne. Jetzt im Gespräch hatte ich plötzlich den Eindruck, dass Elisabeth womöglich die modernere Figur ist.
Crossey: Ich glaube das sehr, ja.
Lochner: Fatalerweise ist sie das. Weil gerade Vernunft und Verstand uns dahin gebracht haben, wo wir sind. Ist die Frage, ob die Moderne immer gut ist.
Interview: Falk Schreiber
Fotos: Matthias Baus