The Rocky Horror Show – Reife Früchtchen

05. Juli 2023 · von Falk Schreiber

Kulturjournalist Falk Schreiber im Gespräch mit Adrian Becker, Darsteller von Frank'n'Furter in "The Rocky Horror Show"

Ein spießiges All-American-Pärchen gerät in die Fänge des sinistren Frank’n’Furter und lernt so die Freuden von Fetischismus, Bisexualität und Entgrenzung kennen. Bei der Uraufführung 1973 war Richard O’Brians Musical „The Rocky Horror Show“ ein Skandal, heute ist ein großer Spaß mit Publikumsbeteiligung – auch diesen Sommer auf der Festung Ehrenbreitstein. Ein Gespräch mit Frank’n’Furter-Darsteller Adrian Becker.

Adrian Becker, Sie haben den Frank’n’Furter in der „Rocky Horror Show“ schon mehrfach gespielt …
Das denken erstaunlicherweise sehr viele. Aber den Frank’n’Furter hab ich nur einmal, die „Rocky Horror Show“ hingegen schon mehrfach gespielt. In der Berliner Inszenierung von 1993 war ich Riff-Raff und in der Koblenzer Inszenierung von 2003 Frank’n’Furter. Darüber hinaus habe ich aber seine Songs bei vielen Konzerten und Galas gesungen und auf meiner ersten CD verewigt. 

Das Stück ist ja ein Publikumsrenner. Was finden die Leute da dran?
Ich glaube, da geht es ganz viel um Erinnerung an die eigene Jugend. Auf jeder Party wurde damals irgendwann der „Time Warp“ getanzt, und alle sind ausgeflippt. Außerdem hat die „Rocky Horror Show“ auch einen Eventcharakter. Viele Zuschauer kommen sogar im Kostüm zur Vorstellung und sind perfekt für die Show vorbereitet – Strapse, Wasserpistolen, Hüte aus Zeitungen, Reis, Toast, Spielkarten, Wunderkerzen und, und, und. Es gibt sogar eine mehr als 50-seitige Anleitung, was an welcher Stelle der Show eingesetzt wird. Herrlich! Die Zuschauer feiern gemeinsam mit uns Darstellern eine Party und in diesem Jahr in Koblenz sogar eine Outdoor-Party.

Nervt einen Sänger dieses Mitmachen eigentlich?
Nein, das nervt überhaupt nicht. Zudem habe ich das Koblenzer Publikum als ein sehr verantwortungsvolles Publikum erlebt. Ich freue mich sehr auf unsere Besucher. Allerdings habe ich bei der Berliner Inszenierung auch schon negative Erfahrungen gemacht. Bei den Zugaben war das Publikum teilweise so ausgelassen, dass man uns den Reis händeweise ins Gesicht geworfen hat. Stellen Sie sich vor: Man ist am Singen, hat den Mund geöffnet, und dann fliegt einem eine Handvoll Reis in den Mund. Autsch! Soweit ich weiß, wird es auch Fanpakete mit den notwendigen Utensilien zu kaufen geben. Allerdings ohne Lebensmittel wie Toastbrot. Ich finde den Gedanken, mit realen Lebensmitteln zu werfen, nicht mehr zeitgemäß und freue mich, dass die Verantwortlichen am Theater Koblenz eine wunderbare Lösung gefunden haben: Es wird eine Art Bierdeckel geben, auf dem „Toastbrot“ steht. Finde ich sehr lustig! Wir sind outdoor, da bietet sich natürlich auch der Einsatz von Wasserpistolen an. In Berlin wurden zum Schluss, bei „Going Home“, Wunderkerzen ausgepackt – and I really love Wunderkerzen. Und zwar große!

Ich habe das Stück zum ersten Mal als Teenager in den Achtzigern gesehen. Die Musik, der Umgang mit Sexualität, das fand ich als Fünfzehnjähriger toll …
Das ging mir ähnlich. Als ich die „Rocky Horror Show“ das erste Mal sah, war ich auch noch ein Teenager, mitten in der Pubertät, mitten auf dem Dorf und sehr unerfahren. Mich hat das alles fasziniert: Männer schlafen mit Männern, Frauen knutschen mit Frauen, der heterosexuelle Brad macht erste Erfahrungen mit einem Mann, und Janet verliert ihre Jungfräulichkeit an eine KI. Und dazu glitzert es überall. Barbie war raus! Dont dream it, be it!

Wie denken die Jugendlichen heute über Sexualität?
Ich denke Hetero-, Homo- oder Bisexualität ist heute bei der Jugend gerade in den urbanen Gegenden kein großes Thema mehr. Allerdings passiert da gerade etwas. Selbst in Berlin gibt es zur Zeit täglich Angriffe auf die LGBTG+-Community, Tendenz steigend! Letze Woche ging ich mit einer ziemlich bunten Hose durch Koblenz, und ein junger Mann aus einer Gruppe Heranwachsender fragt lautstark, ob ich denn mit dieser Hose zu meinem Detlef ginge … Klingt vielleicht lustig, ist aber bedrohlich wenn es aus einer Gruppe von zehn testosterongesteuerten Jungs kommt. Da waren wir schon mal weiter, und das macht mir auch Angst.

Brad und Janet sind als Gegenfiguren zu Frank’n’Furter sterbenslangweilig. Frank’n’Furter schläft mit beiden – wen überzeugt er schneller?
Zuerst ist Janet dran, und dann wird Brad beglückt und entzückt. Im Stück, so wie Richard O’Brian sich das vorstellt, sind die beiden Sexszenen gleich, wir spielen sie auch fast identisch. Fast! Beide sind allerdings durch die Ereignisse im Schloss schon so angesext, dass Frank’n’Furter keine große Überzeugungsarbeit mehr leisten muss. Reife Früchtchen zum Ernten. Allerdings glauben beide anfänglich noch, dass sie mit ihrem jeweiligen Verlobten schlafen.

… naja, die reden sich das ein.
Genau. Bis sie dann erkennen, dass es in Wahrheit Frank’n’Furter ist, der da unten am Machen ist. Aber ich glaube, beide sind gleich willig und gleich billig.

In seinem zentralen Song bezeichnet sich Frank’n’Furter als „Sweet Transvestite from a transsexual Transsilvania“. Da gehen dem Text die Sexualitätsdefinitionen durcheinander – transsexuell ist im eigentlichen Sinne niemand.
Das stimmt. Das Stück ist von 1973, und aus der heutigen Perspektive hat Frank’n’Furter gar nichts mit Transsexualität zu tun: Für mich hat er zwar ein androgynes Wesen, ist aber eindeutig ein Kerl. Es wäre interessant, das mal eine trans Person zu fragen, wie er oder sie das wahrnimmt. Und ich würde das auch gerne von Richard O’Brian wissen.

Für den Reim ist der Song natürlich schön.
Absolut. Das spricht und singt sich ganz schön.

Für Regisseurin Anja Nicklich bringt der Titel „Don’t dream it, be it!“ das Stück auf den Punkt, das sei die Botschaft, die sie Koblenz mit ihrer Inszenierung mitgeben möchte. Was meint sie damit?
Glaube an deine Träume und mache sie wahr! Lebe, wie du möchtest! Wenn du silberne Fingernägel tragen möchtest, dann mache das! Wenn du einen Mann, eine Frau oder eine trans Person lieben möchtest, dann mache das! Be it, don’t dream it! Ich finde den Satz „Rose-tint my world“ auch sehr schön: Versuche glücklich zu sein. Trau dich, du zu sein und wenn du dazu deine Welt rosa anmalen möchtest, dann tu das.

Wir erinnern uns an das Stück aus den Achtzigern. Aber gerade in Bezug auf freie Sexualität ist ja Ende der Achtziger etwas Einschneidendes passiert – HIV. Kann man „Don’t dream it, be it“ heute noch so singen wie damals?
In der Koblenzer Inszenierung von 2003 haben wir bei den oben erwähnten Sexszenen Kondome benutzt und bewusst eingesetzt, um auf das HIV-Thema aufmerksam zu machen. Glücklicherweise hat sich da bis heute sehr viel getan, und die medizinischen Möglichkeiten haben ein Leben mit dem Virus möglich gemacht. Allerdings noch lange nicht überall auf der Welt. Noch immer sterben zu viele Menschen an HIV. In der diesjährigen Inszenierung werden wir allerdings nicht darauf eingehen. Wir haben uns mehr mit dem Problem der sexuellen Übergriffigkeit beschäftigt. 

Stimmt. Frank’n’Furter fragt nicht vorher, ob das okay ist, wenn er sich an Brad und Janet ranmacht.
Richtig. Und genau das war auch bereits am ersten Probentag ein großes Thema, denn inzwischen gibt es ja eine neue Awareness, was sexuelle Übergriffigkeit anbelangt. Stellen Sie sich vor: Wir Darsteller begegnen uns zum ersten Mal, sind uns quasi noch fremd. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, eine Sexszene zu spielen. Mir war es sehr wichtig, die Kolleg*innen, bevor ich sie anfasse, um Erlaubnis zu fragen: Darf ich dich berühren? Darf ich dich küssen? Wenn dir etwas unangenehm ist, dann sag mir bitte Bescheid. Über diese Fragen habe ich mir vor 20 Jahren noch keine Gedanken gemacht. Damals gehörte das einfach zum Job. Auch inhaltlich würde O´Brian das heute vielleicht auch anders schreiben. Ich glaube, dass wir mit den Mitteln der Schauspielkunst eine gute Lösung gefunden haben. 

Das Stück ist eigentlich ein riesiger Blödsinn. Ständig passieren irgendwelche Sachen, und dann taucht eine Figur auf und sagt: Stimmt alles gar nicht! Wie spielt man sowas?
Mit ganz viel Spaß. Augen auf und durch! Es braucht eine klare Vision ,wo die Reise hingehen soll und dann jede Menge Kreativität und Spaß des gesamten Teams. Ein bisschen werde ich da zum kleinen Kind, dem man Bauklötzchen schenkt und mal machen lässt.

Text: Falk Schreiber
Fotos: Matthias Baus