Sechs Wochen ist es her, dass sich die Beteiligten der aktuellen „Madama Butterfly“-Produktion auf der Probebühne in der Koblenzer Innenstadt zur Konzeptionsprobe versammelt haben. Im Blog wurde bereits berichtet, wie Markus Dietze hier sein Konzept für die weltberühmte Puccini-Oper vorgestellt hat: Der Regisseur eröffnete vier Perspektiven auf den Opernklassiker, die jedoch kein starres Regiekonzept darstellen, sondern, wie Dietze es formulierte, „ein Denkmodell und ein intellektuelles Auffangnetz“, das den Beteiligten einen stimmigen Zugang zum Werk ermöglichen soll.
Was ist seit der Konzeptionsprobe geschehen?
In den folgenden Wochen erarbeiteten die Sänger:innen zusammen mit Dietze das Stück intensiv auf der Probebühne. Bewegungsabläufe, Figurenzeichnung und natürlich die musikalische Ausgestaltung – alles musste präzise sitzen, bevor das Team zur eigentlichen Spielstätte umzog. Da die Oper im Rahmen der jährlichen Open-Air-Produktion im Retirierten Graben der Festung Ehrenbreitstein zur Aufführung kommt, ist die Anzahl der Bühnenproben nämlich äußerst begrenzt und die Probenzeit dort im Vergleich zu Produktionen im Theaterzelt deutlich verkürzt. So konnten die Darsteller:innen erst am Mittwoch, den 25. Juni, gerade einmal anderthalb Wochen vor der Premiere, zum ersten Mal im finalen Bühnenbild, einem aus Industrie-Wasserbehältern gebauten Plateau samt Rückwand, proben.
Zunächst arbeiteten die Darsteller:innen, wie bei Opernproduktionen üblich, nur mit Klavierbegleitung auf der Bühne. Bei dieser ersten Phase der Bühnenproben ging es vorrangig darum, sich an die Gegebenheiten in der Festung zu gewöhnen. „Der Übergang von der Probebühne auf die eigentliche Bühne hat sehr gut funktioniert“, betont Dramaturgin Franziska Hansen. Und das war auch notwendig. Immerhin standen den Darstellenden nur vier Bühnenproben mit Klavier zur Verfügung, ehe ab Freitag, dem 27. Juni, die sogenannten Bühnenorchesterproben (kurz „BOs“), also Proben mit Darsteller:innen und Orchester im Originalbühnenbild (allerdings ohne Kostüm und Maske), begannen. Hier wurde das Team, wie sich im Gespräch gezeigt hat, mit ganz besonderen Herausforderungen konfrontiert, die es in kürzester Zeit zu meistern galt.
Doch wie ist es für die Darstellenden eigentlich, auf einer so besonderen Bühne zu spielen?
Martin Shalita, der (im Wechsel mit Matthew Vickers) Benjamin Franklin Pinkerton verkörpert, hat schon an mehreren Produktionen in der Festung Ehrenbreitstein mitgewirkt. „Ich habe ‚West Side Story‘ und ‚Evita‘ hier gespielt“, berichtet er. „Es ist wunderschön in der Festung – und die Tontechnik ist so gut, dass es kein Problem ist, im Freien zu spielen.“ Im Gegensatz zu Vorstellungen im Haupthaus müssen die Darstellenden bei Freiluftproduktionen wie der aktuellen „Madama Butterfly“ mikrofoniert singen. Ohne diese Tonverstärkung wären die Stimmen in der Open-Air-Akustik der Festung nämlich nicht zu verstehen.
Eine weitere Besonderheit der Opernproduktionen auf der Festung besteht darin, dass das Orchester (wie auch im Theaterzelt) hinter der Bühne sitzt und nicht in einem vorgelagerten Orchestergraben. „Der Dirigent ist nicht vor uns“, erklärt Shalita. „Wir müssen ständig auf Monitore schauen [auf denen der Dirigent per Livekamera zu sehen ist]. Das muss man verstecken, weil es für das Publikum nicht schön ist, wenn wir permanent zu den Monitoren blicken. Daher muss das geschickt ins Szenische integriert werden.“
Für Cio-Cio-San-Darstellerin Hanxi Yang (die bei den Vorstellungen mit Yitian Luan alterniert) ist ebenfalls die ungewöhnliche Akustik eine zentrale Herausforderung bei der Festungsproduktion. „Das hier ist ein sehr weiter Raum“, betont sie. „Man hört seine eigene Stimme ganz anders. Das ist ein völlig anderer Klang.“
Herausforderungen bei Ton und Licht
Dem kann Marcus Merkel, der Musikalische Leiter der Produktion, nur zustimmen: „Wir spielen in einer unglaublich charmanten Kulisse, aber es ist kein Konzertsaal. Wir müssen hier erst einmal eine passende Akustik erschaffen.“ Damit meint Merkel, dass neben der großen Fläche, die im Retirierten Graben zu bespielen und mit Musik zu füllen ist, die Bühne keine festen Rück- und Seitenwände hat, die entscheidend für die Akustik sind. „Die Wände geben hier keinen warmen Nachhall“, erläutert der Dirigent. „Da muss man dann mit elektro-akustischen Mitteln nachhelfen.“
Neben klanglichen Fallstricken stellt auch die nach Westen ausgerichtete Lage der Bühne die Beteiligten vor ungeahnte Herausforderungen. So müssen die Sänger:innen und Musiker:innen bei den Abendproben regelmäßig mit der direkten Sonneneinstrahlung kämpfen. Dieses Problem lässt sich glücklicherweise mithilfe von zahlreichen Sonnenbrillen und zwei Sonnenschutzwänden, die während der dritten BO kurzerhand für das Orchester errichtet wurden, schnell lösen.
Für das Lichtdesign (Julia Kaindl) ist es hingegen deutlich kniffliger, mit der Sonneneinstrahlung und der langen Helligkeit umzugehen. Viele Lichtstimmungen sind erst bei Dunkelheit gut sichtbar, sodass hier sehr viel Sorgfalt auf die Wahl der passenden Scheinwerfer gelegt werden muss – immerhin soll das Publikum ja auch den ersten Akt der Oper, der noch vor Sonnenuntergang gespielt wird, in atmosphärischem Licht genießen können. „Wir machen das ja zum Glück öfter“, unterstreicht Merkel und spielt damit auf die lange Tradition der Freilufttheateraufführungen in der Festung Ehrenbreitstein an. Das Team des Theaters Koblenz ist entsprechend routiniert im Umgang mit den akustischen und lichttechnischen Herausforderungen dieser außergewöhnlichen Spielstätte.
Sechs Wochen Proben: Künstlerische Arbeit zwischen Klavier und WhatsApp-Chats
Selbstverständlich sind während der Probenzeit nicht nur technisch-organisatorische Aspekte zu bewältigen. Im Zentrum steht natürlich klar die künstlerische Arbeit an der Oper. Ein Großteil dieser Arbeit fand – begründet durch den knappen Zeitplan bei den Bühnenproben – auf der Probebühne statt. „Im Laufe der Probenwochen lernt man als Dirigent die Sänger:innen peu à peu besser kennen – und zwar künstlerisch und persönlich“, berichtet Marcus Merkel von seinen Erfahrungen der letzten Wochen. „Man trifft sich am Klavier oder macht abendliche WhatsApp-Konversationen.“
Dieses soziale Zusammenwachsen ist nicht nur für das Teambuilding im Ensemble essenziell, es hilft den Beteiligten auch, die Oper besser zu verstehen und sie bisweilen sogar in einem neuen Licht zu sehen. „Ich habe das Stück bereits vor sechs Jahren assistiert“, führt Merkel in diesem Zusammenhang aus, „doch in der Arbeit mit den Solist:innen lernt man es noch einmal ganz anders kennen – gerade, wenn die Kolleg:innen eigene Erfahrungen mitbringen.“
Ein neuer Blick auf bekannte Figuren
Auch die Solist:innen berichten im Interview, dass sie in den gemeinsamen Probenwochen ganz neue Aspekte der Oper und ihrer Figuren entdeckt haben: „Ich habe Cio-Cio-San immer für sehr schüchtern gehalten“, erklärt etwa Hanxi Yang. „Doch bei den Proben habe ich festgestellt, dass sie gar nicht so schüchtern ist. Sie hat eine eigene, starke Persönlichkeit und kann sehr aktiv sein.“
Genau einem solchen Verständnis der Figur nähert sich auch Regisseur Markus Dietze in einer seiner vier Perspektiven auf die Oper: „Madama Butterfly“ ist nach dieser Lesart nicht nur eine Geschichte über kolonialen Machtmissbrauch, in der die junge Japanerin Cio-Cio-San den amerikanischen Marineleutnant Pinkerton heiratet und von diesem verlassen wird, sondern auch die Darstellung eines modernen Emanzipationsversuchs. Entsprechend kann das Werk – und insbesondere die Figur Cio-Cio-San – auch aus einer feministischen Perspektive gelesen werden, was Yang während der Proben einen ganz neuen Zugang zu ihrer Figur ermöglichte.
Ein Antagonist zwischen Monster und Mensch
Martin Shalita hat sich im Laufe der Proben ebenfalls intensiv mit seiner Figur auseinandergesetzt und neue Seiten von deren Charakter erforscht. „Die größte Frage für mich war: Wie böse ist Pinkerton eigentlich?“, berichtet er. Laut einer von Dietzes Perspektiven auf die Oper kann die Figur als „emotional Abuser“ gelesen werden, doch Shalita sieht das differenzierter: „Ich finde ihn nicht so böse. Jeder Mensch hat in bestimmten Situationen schon mal etwas gemacht, ohne an die Konsequenzen zu denken. Für mich ist Pinkerton mehr menschlich als ein Monster. Obwohl er sich zweifelsohne im Stückverlauf sehr schuldig macht, bleibt er am Ende doch ein Mensch.“
Gerade hieran wird deutlich, dass Dietzes Regiekonzept keine starre Vorgabe ist. Die Darstellenden haben vielmehr großen Freiraum, sich mit ihren Figuren aus den unterschiedlichsten Perspektiven auseinanderzusetzen. „Mir war zwar schon von Anfang an klar, dass Pinkerton kein Monster, sondern ein Mensch ist“, führt Shalita aus, „doch zunächst war diese Idee nur in meinem Kopf. Erst durch die intensive Probenarbeit ist sie auch in meinen Körper übergegangen.“
Diese differenzierte Auseinandersetzung mit den Figuren und dem Inhalt der Oper stand im Zentrum der Probebühnenarbeit. In den letzten Tagen bis zur Premiere, die am Samstag, dem 5. Juli, stattfindet, gilt es nun, die künstlerischen Überlegungen mit den Gegebenheiten auf der Festung Ehrenbreitstein in Einklang zu bringen – eine anspruchsvolle Aufgabe, bedenkt man, dass zwischen der ersten Bühnenorchesterprobe und der Premiere gerade einmal acht Tage liegen.
Doch was muss in diesen acht Tagen nun eigentlich noch getan werden?
„Alles muss poliert werden“, lautet Martin Shalitas Antwort. „Wir haben im Gegensatz zu Produktionen im Theater auf der Festung nicht so viele Proben. Jede Minute zählt – vor allem, weil es zwei Besetzungen gibt und jeder dann nur halb so viel Zeit auf der Bühne hat. Bis zur Premiere geht alles extrem schnell.“
„Jetzt ist die Arbeit mit dem Orchester das Wichtigste“, findet Hanxi Yang, während Marcus Merkel ergänzt: „Es geht vor allem darum, Orchester und Bühne aufeinander abzustimmen. Wo muss man aufeinander hören? Wo sind noch Justierungen am Ton notwendig? Außerdem machen wir eine Feinabstimmung mit dem Orchester. Das ist gerade bei wechselnden Orchesterbesetzungen besonders wichtig – und man merkt schon deutliche Sprünge von der ersten BO zur zweiten und jetzt zur dritten.“
Auf die fünf Bühnenorchesterproben folgt am Dienstagabend zunächst die Klavierhauptprobe, bei der die Darsteller:innen erstmals mit Kostüm und Maske spielen werden – eine weitere Herausforderung, vor allem angesichts der hohen Temperaturen, die für diese Woche prognostiziert sind. In einem letzten Schritt finden dann am Mittwoch und Donnerstag die Haupt- sowie Generalprobe statt, bei der die Oper mit allen Elementen wie in der Vorstellung durchlaufen wird, bevor sich dann das Publikum in den sechs Vorstellungen von „Madama Butterfly“ selbst vom Endergebnis überzeugen kann.
Text: Dr. Patrick Mertens
Fotos:Matthias Baus