Das Schöne ist nur Phantasie

06. Juli 2022 · von Falk Schreiber

Anja Nicklich kennt sich als Musiktheaterregisseurin gut mit Verdi aus – unter anderem inszenierte sie schon „Nabucco“ und „Il Trovatore“ auf der Festung Ehrenbreitstein. Diesen Sommer ist „Rigoletto“ allerdings noch einmal eine ganz besondere Herausforderung – wie sich beim Gespräch am Rande einer Probe zeigt.

Anja Nicklich, ich tue mich ein bisschen schwer mit Verdis „Rigoletto“. Ich bekomme die Hauptfigur Rigoletto nicht zu fassen: Was ist das für ein Mensch? Was treibt ihn an?

Anja Nicklich: Verdis Musik geht grundsätzlich ins Extreme: Wut, Trauer, Liebe … Alles wird überhöht. Mich persönlich interessiert die Figur des Rigoletto als einen von der Gesellschaft ausgegrenzten Menschen. Er wurde aufgrund seines Buckels sein ganzes Leben lang gehänselt. Für die Festung haben wir uns entschieden, der Figur tatsächlich auch einen Buckel zu geben, da wir aufgrund der großen Entfernung der Zuschauer bei der Open-Air-Bühne mit großen bildnerischen Mitteln arbeiten müssen. Ich weiß nicht, ob Rigoletto im geschlossenen Theaterraum einen Buckel tragen muss oder ob man das anders erzählen kann, aber hier machen wir das, um ganz klar seine Ausgrenzung aufgrund der Körperlichkeit zu erzählen. Dass Rigoletto durch die Demütigungen der Gesellschaft ein vermindertes Selbstwertgefühl entwickelt hat und auch charakterlich misantrop, misogyn und gefährlich geworden ist, zeigen wir dann wiederum szenisch. Im ersten Akt erzählt Rigoletto von seiner großen Liebe, der Mutter Gildas. Sie hat ihn geliebt, wie er ist, mit seiner Behinderung und seinem weichen Herzen. Doch da konnte Rigoletto schon keine Liebe mehr annehmen, weil er sich selbst hasst. Er berichtet im Duett mit seiner Tochter Gilda, dass ihre Mutter irgendwann verschwand, aber was ist genau passiert? Hat Rigoletto sie umgebracht, in einem Anfall von Wut und Hass auf sich selbst und seine Umgebung und dem Glauben, dass niemand ihn wirklich lieben kann?

Woher kommen Rigoletto und Gilda eigentlich?

Das ist nicht klar. Auch nicht, wie Rigoletto wirklich heißt. Erst seit drei Monaten befinden sich Rigoletto und seine Tochter in Mantua, aber wovor sind sie geflüchtet? Mit Giovanna gibt es eine weitere Eingesperrte: Giovanna ist Gildas Amme und Rigolettos weiteres Opfer. Man bekommt nur stückchenweise Handlungsstränge geliefert und entdeckt erst im Laufe der Oper, dass die Figur des Rigoletto kein liebender Vater, sondern ein gestörter Psychopath ist.

Sollte ich Rigoletto eigentlich verabscheuen oder mögen?

Das überlasse ich dem Zuschauer. Verdis Musik, die er Rigoletto auf den Leib geschrieben hat, macht ihn für mich unglaublich liebenswert – umso geschockter ist man, wenn man erkennt, dass die Geschichte aus der Sicht einer dissoziativ gespaltenen Persönlichkeit erzählt wird. Rigoletto steht vor dem höchsten Gericht, alle Figuren der Geschichte als seine Ankläger – und doch ist Rigoletto in seinem Wahn und seinem Schmerz allein. Die Geschichte ist wie ein Höllenritt, der immer und immer wieder passiert. Gefangen in der eigenen Realität. Was ist Wahn und was ist Wirklichkeit?

Vor allem ist Rigoletto beruflich sehr erfolgreich. Er ist erst seit kurzem in Mantua, kommt aber sofort in eine einflussreiche Position und weiß sich gut anzupassen.

Rigoletto hat seine Waffe perfektioniert: Die Zunge ist sein Schwert, da sein Körper zu schwach ist, sich zu wehren.

Aber weswegen mag ihn am Hof niemand?

Rigoletto ist anders! Die Gesellschaft fürchtet sich vor jedem, der nicht den Norm- und Moralvorstellungen entspricht. Hinzu kommt seine spitze Zunge, die jeden jederzeit treffen kann. 

Antonia Mautner Markhofs Bühnenbild ist sehr düster gehalten, das passt ja auch zum Stoff. Aber weswegen lässt man das Ganze dann im Sommer-Open-Air auf der Festung spielen? Das ist doch kein Sommer-Stück?

Hier machen wir uns Verdis Hang zum Extremen zu Nutzen: In der einzigartigen Kulisse der Festung braucht man großes Drama! Das heißt: Man muss große Bilder erschaffen. Genauso ist es mit dem Orchester: Wir müssen Stücke spielen, die große Dramen über große Musik erzählen. Natürlich ist der Stoff düster, aber wenn es anfängt zu dämmern, können wir mit Licht zaubern, dann wird es im Graben der Festung wirklich gruselig.

Sie inszenieren ja unheimlich viel Verdi.

Rigoletto ist mein fünfter Verdi. Ich liebe die Musik, man muss nur gut hinhören. Sie erzählt die Geschichte und ich muss diese nur noch auf die Bühne bringen. Eigentlich ganz einfach. (lacht)

Was mag das Publikum an der Musik? Sie haben vorhin gesagt, dass Verdi auf der Festung auf jeden Fall funktioniert.

Kommen Sie vorbei. Dann werden Sie es fühlen und sehen. Es ist unbeschreiblich.

Die Festung ist ja sehr beengt. Aber das macht den Ort auch bedrohlich, wie er von allen Seiten durch hohe Mauern eingefasst ist – und das passt wiederum zu „Rigoletto“. Hier wollen alle Figuren raus, aber sie sind gefangen in den Umständen.

Total richtig. Und genau deswegen machen wir „Rigoletto“ hier oben und hoffen sehr, mit unserer Inszenierung die Zuschauer bannen zu können und ihnen die Schönheit von Verdis Musik näher zu bringen.

Interview: Falk Schreiber
Fotos: Matthias Baus