Vor fast einem Jahr haben wir begonnen, uns mit der aktuellen Produktion von „Così fan tutte“ zu beschäftigen, damals noch in der Rhein-Mosel-Halle, bei der konzertanten Aufführung. Wie haben sich die Figuren innerhalb dieser Zeit für Sie verändert?
Damon Nestor Ploumis: Ich war vor einem Jahr noch nicht dabei. Ich habe den Don Alfonso aber schon in anderen Produktionen gesungen, und im Vergleich zu damals hat sich was verändert.
Theresa Dittmar: Für mich hat sich sehr viel verändert. Inzwischen hat Daniel Spogis das Dirigat von Mino Marani übernommen, das ist musikalisch ganz anders. Außerdem hat Regisseurin Bettina Geyer ganz viele neue Aspekte reingebracht. Bei der konzertanten Aufführung haben wir das Stück sehr wörtlich genommen, jetzt hat meine Rolle der Despina sehr viel Tiefgang gewonnen.
Ist das nicht frustrierend, so lange an einem Stoff zu arbeiten?
Dittmar: Ich glaube, wenn wir die Premiere noch einmal hätten verschieben müssen, dann wäre vielleicht eine Spur Frustration aufgetaucht. Aber als Sängerin arbeitet man immer wieder neu an Rollen, teilweise schon im Studium, und man findet immer wieder neue Aspekte. Auch die Stimme verändert sich innerhalb eines Jahres, und mit der veränderten Stimme packt man das Thema anders an. Das bleibt spannend.
Ploumis: Das hier ist jetzt die sechste Produktion, in der ich den Don Alfonso singe. Außerdem habe ich „Così fan tutte“ schon mehrmals inszeniert. Ich finde es immer interessant, ein Stück aus einer anderen Perspektive zu sehen, man entdeckt da ganz neue Dimensionen der Rolle.
„Così fan tutte“ ist ja im Grunde ein Stück im Stück. Ferrando und Guglielmo sind glücklich mit ihren Freundinnen Dorabella und Fiordiligi, aber Don Alfonso sagt ihnen, dass sie sich verkleiden sollen, um die Treue ihrer Freundinnen zu testen. Die spielen einander was vor, das ist ein Theaterstück. Und Don Alfonso und das Zimmermädchen Despina sind quasi der Regisseur und die Regieassistentin.
Dittmar: Wir haben ziemlich lange überlegt, welche Position Despina in diesem Stück eigentlich hat. Bei uns ist sie ein Gegenpol zu Don Alfonso. Die haben einen kleinen Machtkampf: Wer schafft es, die anderen besser auszutricksen?
Ploumis: Das ist klassische Commedia dell’arte, eigentlich ist es sogar wie die antike Komödie. Menschen ändern sich nicht so stark.
Dittmar: Don Alfonso und Despina sind auf jeden Fall die Strippenzieher.
Die beiden haben auch Spaß an diesem Wettkampf.
Ploumis: Die wetten. Vielleicht haben sie gar nicht viel emotional investiert, aber sie wollen das Ergebnis wissen.
Dittmar: Auf jeden Fall. In aller Freundschaft.
Was für ein Verhältnis hat Don Alfonso denn zu den beiden Jungs? Der ist ja viel älter als die beiden.
Ploumis: Die haben eigentlich ein oberflächliches Verhältnis, aber sie treffen sich ziemlich oft, weil sie Spaß miteinander haben. Don Alfonso wurde irgendwann im Leben von einer Frau emotional verletzt, und dadurch ist er ein bisschen zynisch geworden. Nur einmal nimmt er die Maske des Zynikers ab, beim berühmten Terzett (singt) „Soave sia il vento“. Und gleich darauf nimmt er das wieder zurück, „Ich bin kein schlechter Komiker!“ Nein, ist er nicht, sonst wäre die Musik nicht so schön. Aber er versteht, wie das Leben läuft. Kurz vor Schluss sagt er zu den Jungs, die beide enttäuscht sind von ihren Freundinnen: „Du liebst sie, also nimm sie, wie sie ist!“ Der Untertitel von „Così fan tutte“ lautet „Die Schule der Liebenden“, und das ist für mich das Ziel des Unterrichts in dieser Schule. Vielleicht musste auch Don Alfonso das einmal lernen.
Despina ist aber keine Zynikerin.
Dittmar: Despina ist sehr abgebrüht. Die hat viel erlebt, sie führt kein einfaches Leben, muss hart arbeiten. Auf eine gewisse Weise ist sie Realistin, sie weiß: Wenn man will, dass etwas ordentlich gemacht wird, dann muss man es selbst machen. Bei uns übernimmt Despina ein bisschen eine feministische Rolle. Das trifft Don Alfonso, der glaubt, dass Männer untreu sein dürfen, Frauen aber nicht. Und Despina sagt: Es machen alle. Und das ist nicht schlimm, da muss niemand böse sein.
Despina muss hart arbeiten. Aber in der ersten Szene sehen wir Don Alfonso und die Jungs auf dem Golfplatz. Das sind reiche Kinder, die arbeiten nicht. Arbeitet Don Alfonso?
Ploumis: Der ist nicht reich, der ist in dieser Szene der Golflehrer. Wenn er reich wäre, dann würde er selbst Golf spielen und nicht unterrichten. Aber er hat eine gewisse Gelassenheit. Er ist sehr gebildet, vielleicht war er früher Lehrer, heute ist er in Rente, und manchmal verdient er sich ein bisschen was dazu. Aber er muss nicht kämpfen, um das tägliche Leben zu bewältigen, anders als Despina. Ich habe die Theorie, dass er der Lehrer der Mädchen war. Wo sind in dieser Geschichte eigentlich die Eltern? Die Mädchen sind gerade mal 15, 16 Jahre alt, und Don Alfonso ist für sie eine Vaterfigur. Die Jungs kennt er wahrscheinlich noch gar nicht lange. Aber er ist begeistert von der Jugend.
Ich hatte bei „Così fan tutte“ immer das Gefühl, dass mir alle Figuren außer Despina unsympathisch sind. Bei der Probe heute taten mir die Liebespaare aber plötzlich leid.
Dittmar: Im Stück werden eigentlich alle von ihrer schlechtesten Seite gezeigt. Alle sind Betrüger, alle spielen mit den Menschen, auch Despina – die nimmt eine Bezahlung von Don Alfonso und lässt ihre Mädels eiskalt auflaufen, das ist auch nicht sonderlich nett. Aber Bettina Geyer hat es geschafft, alle als positive Menschen zu zeichnen.
Und am Ende sind alle unglücklich.
Ploumis: Das kann man so interpretieren. Wenn die Jugend sehr idealistisch ist, ist sie nach diesen Erfahrungen unglücklich. Aber wenn man versteht, dass man den Menschen nehmen muss, wie er ist, dann finde ich das eigentlich ziemlich positiv. Ich habe einmal „Così fan tutte“ inszeniert, und da waren tatsächlich alle verzweifelt. Das hat mir nicht gefallen. Der allerletzte Satz des Stücks lautet (singt) „E del mondo in mezzo i turbini, bella calma troverà“, „Drohen auf dieser Welt Gefahren bang, wahrt er seinen heitern Sinn“. Wer dieses „Nimm sie, wie sie sind“ erkannt hat, der wird immer eine innerliche Ruhe finden.
Dittmar: Ich denke, dass man es so inszenieren kann, dass am Schluss alle zerstört sind. Aber ich finde sehr cool, was Bettina Geyer bei uns macht: Da ist der Moment, an dem alle Scheiße gebaut haben und man nicht weiß, wie es jetzt weitergehen soll. Und dann haben sie die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, zu vergeben, zu akzeptieren, dass alle Fehler gemacht haben und die ganze Sache nicht zu schwer zu nehmen. Schwamm drüber. Das ist eine sehr schöne Botschaft, finde ich.
Interview: Falk Schreiber
Fotos: Matthias Baus