Probenbericht „Company“: Eine zeitlose Reflexion über Beziehungen und Ehe

25. Dezember 2023 · von Patrick Mertens

Lärm, gelbe Taxis, die durch Häuserschluchten rauschen, und Menschenmassen, wo man hinblickt – so stellt man sich üblicherweise das Leben in New York City vor. Doch am Abend des 8. Dezember 2021 kam das hektische Treiben der Metropole plötzlich zum Stillstand.

Für genau eine Minute löschten die Theater der Stadt zu Ehren des kurz zuvor verstorbenen Komponisten Stephen Sondheim (1930–2021) ihre Beleuchtung, um so einem der anspruchsvollsten und faszinierendsten Musicalkomponisten des 20. Jahrhunderts zu gedenken. Werke wie Sweeney Todd (1979) oder Into the Woods (1986) sind, obwohl sie lange Zeit im Schatten der Blockbuster-Musicals Andrew Lloyd Webbers standen, heute längst zu Genre-Klassikern geworden.

Insbesondere Sondheims 1970 uraufgeführtes Werk Company gilt – nicht nur unter Theaterfans – als Schlüsselwerk in der Entwicklung des modernen Broadwaymusicals. Statt einer linearen Handlung präsentieren Sondheim und sein Buchautor George Furth in diesem Stück eine Reihe von Vignetten, in denen vor der urbanen Großstadtkulisse Manhattans über Beziehungen, Liebe und Ehe reflektiert wird. Der Schauplatz und auch die Themenwahl erinnern stark an Woody Allen, der in seinen (später als das Musical entstandenen) Filmen wie Der Stadtneurotiker (1977) oder Manhattan (1979) einen ähnlich zynischen Blick auf das Leben und die Liebe der Großstadtbewohner liefert wie Sondheim und Furth in Company.

Marta (Mariyama Ebel) und Robert (Christof Maria Kaiser) in New York

Ursprünglich von Furth als sieben einzelne Schauspielmonologe konzipiert und erst später zusammengefügt, schuf Sondheim für Company eine Partitur, deren Songs allesamt die Themen „Liebe/Beziehung“ oder „New York“ behandeln. Anstelle einer sich entwickelnden Geschichte beherrscht hier also ein thematisches Konzept das Stück – die Geburtsstunde des sog. „Concept Musicals“. Ausgangspunkt der Handlung von Company ist der 35. Geburtstag der Hauptfigur Robert, den dieser zum Anlass nimmt, um über die Beziehungen seiner besten Freunde, fünf sehr unterschiedliche Paare, und sein eigenes Liebesleben nachzudenken. Dabei stellt sich der eingefleischte Junggeselle zunehmend die Frage, ob ein Leben in einer Beziehung oder gar in der Ehe nicht besser wäre, als weiterhin allein zu sein.

Robert in New York

In einzelnen, nicht unmittelbar zusammenhängenden Bildern lernt das Publikum im Verlauf des Musicals Roberts Freunde und drei seiner zeitweisen Flammen kennen. Dies geschieht mal in ausgedehnten Sprechtextszenen, mal in musikalischen Nummern oder spektakulären Tanzsequenzen. Immer wieder werden die Szenen unterbrochen und von Roberts Freunden in Form eines Griechischen Chores mit unverkennbarem Großstadtzynismus kommentiert (Brecht und das Epische Theater lassen grüßen). Eine solch außergewöhnliche, und für das Musical radikal neuartige, Dramaturgie ist natürlich eine enorme Herausforderung für jeden Regisseur. So auch für Intendant Markus Dietze, der Company gerade am Theater Koblenz inszeniert. Dietze bezeichnet sich selbst als großen Sondheim-Fan. „Seit unserer Sweeney Todd-Produktion 2009“, berichtet er im Gespräch, „warte ich auf die nächste Gelegenheit, Sondheim zu machen.“ Besonders bewundert Dietze dabei Sondheims Mut für ungewöhnliche Themen. „Sondheim schert sich nicht darum, was gerade Mode ist. Er schafft Stücke mit Themen, die einen mehr beschäftigen, als man denkt.“ Beste Voraussetzungen also, um sich einem solch anspruchsvollen Stück wie Company zu widmen.

Die erste große Herausforderung bei diesem Musical ist sicherlich die Struktur, die durch den Entstehungshintergrund des Stücks begründet ist. Es gibt keine durchgehende Geschichte, fast alle Szenen stehen für sich und nicht wenige folgen einem sehr ähnlichen Schema. „Es besteht die Gefahr einer Güterzugdramaturgie“, erklärt Dietze. „Wenn man nicht aufpasst, inszeniert man alle Sequenzen einzeln, hängt sie aneinander und dann fliegt alles an einem vorbei.“ Um zu verhindern, dass der Abend weder repetitiv wirkt, noch aufgrund seiner Kleinteiligkeit auseinanderdriftet, haben sich Dietze und sein Bühnenbildner Bodo Demelius ein ebenso einfaches wie geniales Konzept für die Szenerie überlegt: Die Bühne wird von weißen Möbeln im besten New-York-Chic beherrscht, die auf fahrbaren Wagen montiert sind, sodass diese (ferngesteuert) frei im ganzen Raum verschoben werden können. Hierdurch kann eine unendliche Anzahl verschiedener Räume generiert werden, ohne dass lange Umbaupausen nötig wären. Gleichzeitig erhält die Inszenierung durch die klaren Formen der Möbel und das vereinheitlichte Schwarz-Weiß-Design eine Kontinuität, durch die die Parallelität der einzelnen Paarerzählungen in der Handlung herausgestellt wird.

Die „Company“

„Obwohl wir immer wieder das Gleiche sehen“, betont Dietze, „entstehen mit Hilfe des Raumes immer wieder neue Situationen.“ Technisch sind diese Verwandlungen über ferngesteuerte Wagen extrem anspruchsvoll und für das Personal hinter der Bühne eine wahre Herkulesaufgabe. So muss in den Proben immer wieder Zeit eingeräumt werden, um die punktgenaue Wagenchoreografie zu optimieren. Das Ergebnis ist diese Mühe aber definitiv wert: Durch die permanenten Bewegungen erhält das Stück eine filmische Geschwindigkeit, wie man sie sonst nur aus Musicaltheatern kennt, und fängt zugleich in den Bühnenbewegungen das hektische Treiben der Großstadt perfekt ein. Natürlich wäre ein Stück wie Company, das eine einzige große Liebeserklärung Sondheims an seine Heimatstadt ist, nicht ohne ein entsprechendes New-York-Design denkbar. Die Metropole ist, laut Dietze, „eine außergewöhnliche Kombination aus Leben und Urbanität, die man so in Europa nicht finden kann.“ Um dieses besondere Lebensgefühl auf die Koblenzer Bühne zu bringen, ist Videodesigner Georg Lendorff eigens nach New York geflogen, um Material zu filmen, das auf variablen Projektionstafeln eine authentische Manhattan-Atmosphäre schafft.

Regisseur Markus Dietze bei der Klavierhauptprobe

Doch nicht nur hinsichtlich der Bühne und Ausstattung zeigt sich, welch enormen Aufwand das Theater Koblenz in die Produktion dieses Musicals gesteckt hat, sondern auch beim Blick auf die hochkarätige Besetzung. Bemerkenswert ist, dass sich das Koblenzer Company-Ensemble zum größten Teil aus Hausmitgliedern zusammensetzt, die aus den unterschiedlichsten Sparten (vom Schauspiel bis zum Opernchor) stammen. Die spartenübergreifende Zusammenarbeit verlaufe dabei äußerst harmonisch, versichert Dietze. Eine beachtliche Herausforderung ist das Stück auch für Hauptdarsteller Christof Maria Kaiser, dessen Figur Robert über die gesamte Dauer des Musicals fast durchgehend auf der Bühne ist. „Man muss den Ablauf wirklich verinnerlicht haben“, berichtet Kaiser über den Probenprozess, „und man muss sich seine Kräfte genau einteilen.“

Die „Company“ als Chorus Line

Trotz der enormen Anforderungen für alle Beteiligten herrscht bei den Proben großer Enthusiasmus, sei es bei der Arbeit mit Kampfchoreograf Eduard Burza, der filmreife Eheprügeleien auf die Bühne zaubert, oder beim Steppen, wo der Choreograf Luches Huddleston Jr. von Yael Shervashidze aus dem Ballettensemble unterstützt wird.  Die kräftezehrende Steppeinlage zu Beginn des zweiten Aktes ist dabei nur eines von zahlreichen Broadway-Gimmicks, mit denen Company aufwartet. Denn obwohl es die Thematik nicht auf den ersten Blick vermuten lässt, scheut sich Sondheim nicht, musicaltypische Elemente wie Chorus-Lines, Patter-Songs oder eben Steppeinlagen in sein Werk zu integrieren.

Das Besondere an Company ist, dass diese Elemente nie flach oder klischeehaft wirken, sondern die Genrekonventionen einerseits augenzwinkernd kommentieren und andererseits eine gezielte dramaturgische Funktion erfüllen: So bietet beispielsweise die bereits erwähnte siebenminütige Tanznummer zu Beginn des zweiten Aktes die Möglichkeit, Roberts Beziehung zu seinen Freunden in einem anderen Medium, dem des Tanzes, zu erforschen – und genau das geschieht auch auf der Koblenzer Bühne. Choreograf Huddleston lässt Robert zunächst synchron mit seinen Freunden steppen, bevor dieser sich mehr und mehr aus dem Tanzgeschehen herauszieht. Es offenbart sich entsprechend ein Bruch zwischen dem eingefleischten Junggesellen und seinen zehn verheirateten Freunden. Der Kern des Stückes ist hier also in einer Broadway-typischen Tanznummer verdichtet, wobei es jedem Zuschauenden selbst überlassen ist, diese als „gute Laune“-Musicalmoment oder als subversiven Kommentar auf die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Singles zu deuten.

Probeneindrücke

Erstaunlich ist, wie problemlos sich die in Company dargestellten Reflexionen über Beziehungen und Ehe in die heutige Zeit übertragen lassen. Hierin unterscheidet sich das Musical von vielen anderen New Yorker Beziehungskomödien – man denke nur an manche Filme Woody Allens, aber auch an Serien wie Friends (1994–2004) oder How I Met Your Mother (2005–2014), die aus heutiger Sicht in vielerlei Punkten kritisch zu bewerten sind. „Das Thema Ehe ist ja seit den Siebzigern nicht verschwunden, sondern nur anderswo gesellschaftlich einsortiert“, erklärt Regisseur Dietze in diesem Zusammenhang. „Das Thema des Stückes betrifft unser aller Leben und im Prinzip wird in Company 120 Minuten Single-Shaming betrieben.“ Hauptdarsteller Kaiser betont ebenfalls, „die in Company diskutierten Fragen, stellen sich noch heute.“ Dabei schaffen es Sondheim und Furth, obwohl im Verlauf des Stücks keine wirkliche Entwicklung der Figuren stattfindet, dem Zuschauer einen, wie Kaiser es formuliert, „optimistischen Ausblick“ zu bieten. Auch Dietze unterstreicht, dass die Autoren „bewusst keine Aussage zur Wertigkeit von Ehe und Partnerschaft“ machen.

Diese wertneutrale Behandlung des Kernthemas ist sicherlich einer der Gründe, warum das Musical auch fünfzig Jahre nach seiner Uraufführung noch so frisch und aktuell wirkt. Sondheim und Furth ist es mit Company gelungen, eine zeitlose Reflexion über Beziehungen, Partnerschaften und Ehe zu verfassen, die den Zuschauern ebenso viel gute Unterhaltung in bester Musicalmanier wie nachdenkliche Momente liefert und die heute zurecht als Genre-Klassiker gilt.

Text: Patrick Mertens
Fotos: Matthias Baus