Raus aufs Meer

07. November 2020 · von Falk Schreiber

Ein Porträt unseres Produktions- und Werkstattleiters Felix Eschweiler anlässlich der Proben zu "The Last Ship".

In seiner Freizeit segelt Felix Eschweiler, ausgerechnet. „Das Segeln ist ein bisschen eine Verbindung aus Romantik und Abenteuerlust“, erzählt der neue Produktions- und Werkstättenleiter am Theater Koblenz. Über den Ozean fahren, Dinge erleben. Dieses Jahr hat er mit diesem Sport begonnen, erst zur Ausbildung auf einem aufgelassenen Tagebau im Rheinland, dann im Sommer zum ersten Mal auf dem richtigen Meer. Dem holländischen IJsselmeer. Ein echter Ozean ist das nicht, aber zumindest die Richtung stimmt.

Dass Eschweiler Segler ist, ist ein Zufall. Aber es ist ein Zufall, der gut passt: „Segeln ist was, das einem hilft, Sachen einfach zurückzulassen“, meint der 34-Jährige. „Man legt ab und lässt den ganzen Mist, der einen belastet, einfach an Land.“ Das Segeln versteht Eschweiler als Flucht aus dem Alltag, vielleicht auch als Ergänzung zur Arbeit am Theater. Die kommende Premiere aber lässt diesen Sport noch in einem anderen Licht erscheinen: Das Stück „The Last Ship“ aus der Feder des Popmusikers Sting spielt vor dem Hintergrund der Werftenkrise im nordenglischen Newcastle Ende der Siebziger. Und auch hier steht der allgegenwärtige Schiffbau für mehr als für eine beliebige Industrie: Der Schiffbau ist für die Arbeiter etwas, das ihrem Leben Sinn gibt. „Man lässt den ganzen Mist, der einen belastet, einfach an Land.“

Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Sport ist immer schon ein Ausgleich für Eschweiler. Allerdings war das nicht immer das Segeln; bis vor ein paar Jahren betrieb er einen Sport, der in seine Arbeit hineinragte: Er spielte Rugby, erst auf dem Feld, nach einem Schlüsselbeinbruch als Schiedsrichter. Was ihm auch in seiner Position im Theaterbetrieb half: „Wenn man 30 testosteronüberlaufende junge Männer im Griff halten muss, um das Spiel sicher und fair zu gestalten, dann lernt man ein paar Techniken, die einem am Theater im Führungskontext helfen.“

Das Rugbybeispiel weist darauf hin, dass Eschweiler sich mehr als Führungsfigur sieht, weniger als Praktiker der Bühnentechnik. Immerhin, während seines Studiums der Theater- und Veranstaltungtsechnik in Berlin hatte er auch noch selbst als Konstrukteur gearbeitet, aber einen handwerklichen Beruf hat er nicht erlernt. Da ist sein Lebenslauf mittlerweile typisch: Als Leiter eines technischen Bereichs kommt man heute nicht mehr zwangsweise aus der Praxis. „In den letzten Jahren hat sich der übliche Werdegang für diese Positionen gewandelt“, beschreibt er die Veränderung. „Früher ging es vom Bühnenhandwerker über den Meister in eine Leitungsposition, seit es diese Studiengänge gibt, ist das nicht mehr so.“ Man spürt eine gewisse Melancholie bei Eschweiler, wenn er diese Entwicklungen skizziert. Und man kann nicht anders, man stellt auch hier eine Verbindung zu „The Last Ship“ her: Die Werftarbeiter in Newcastle werden überrollt von der Globalisierung, ihr Handwerk wird nicht mehr wertgeschätzt. Und spätestens, wenn man aus dem Jahr 2020 zurück auf ihren Arbeitskampf blickt, versteht man, dass dieser Kampf nur ein letztes Aufbäumen ist. Die Entwicklung geht unaufhaltsam weiter. Und man wird so melancholisch wie Eschweiler, wenn er über seinen Berufsalltag spricht: „Eine Leitungsposition ist immer eine Schreibtischarbeit. Manchmal bin ich ein bisschen neidisch auf die handwerklichen Berufe: Man sieht dort am Ende des Tages ein Ergebnis. Man sieht: Okay, das habe ich heute gemacht. Und das sieht man mit so einem Schreibtischberuf nicht.“

Foto: Anja Merfeld für das Theater Koblenz

Fürs Theater begeisterte sich Eschweiler schon als Schüler in Dresden: Damals war er in einer Arbeitsgemeinschaft, die einerseits Möbel konstruierte, andererseits aber auch die Kulissen für die Schultheateraufführungen. Diese Begeisterung wurde weiter genährt, als er ein Austauschjahr im US-amerikanischen Syracuse absolvierte und dort an einer musisch engagierten Schule landete – wo er ebenfalls Bühnenbilder bauen konnte. Nach dem Studium startete er ins Berufsleben im österreichischen Graz, wechselte von dort nach Bonn und ist seit Mai in Koblenz engagiert. Sprich: immer Theater. Hatte er nie Lust, mal was anderes zu machen? Gerade mit seiner Ausbildung?

„Ich hätte mit meiner Interessenlage und meinen Kenntnissen auch zu einem Automobilhersteller gehen können“, meint Eschweiler. „Und dort würde ich dann 40 Jahre lang Türklinken und Gaspedale konstruieren. Ich würde sicher deutlich besser verdienen … Aber ich glaube nicht, dass mich das erfüllen würde.“ Das ist auch wieder ein Begriff, der sich mit „The Last Ship“ verbinden lässt: Erfüllung. Erfüllt ihn seine Arbeit? „Das hängt ein bisschen von der Tagesform ab“, relativiert er ein bisschen. „Es gibt Tage, da sagt man: Ich mache mein Ding, gehe um 16 Uhr nach Hause, und dann mache ich morgen an der Stelle weiter, wo ich gestern aufgehört habe. Aber dann gibt es auch Tage, wenn man so ein Bühnenbild auf der Bühne sieht, wenn man sieht, was man da so möglich gemacht hat … dann ist das schon ein tolles Gefühl!“ Ebenfalls ein tolles Gefühl war Eschweilers Start in Koblenz, als die Corona-Pandemie die Theaterarbeit lahmgelegt hatte: Er organisierte dann die Arbeit der Theater-Werkstätten für städtische Institutionen, etwa, indem Plexiglaswände für die Feuerwehr gezimmert wurden. „Auch das ist eine Form von Sinnstiftung.“ Sinnstiftung, die dadurch entsteht, dass das Theater der Stadtgesellschaft etwas zurückgibt.

Foto: Matthias Baus für das Theater Koblenz

Die Region um Newcastle ist für „The Last Ship“ überaus wichtig: die raue Küste, die Nähe zur schottischen Grenze. Auch Eschweiler hat einen Sinn für solche geographischen Gegebenheiten, entsprechend ist es schade, dass er in Koblenz noch nicht heimisch ist: Noch pendelt er täglich von Bonn aus rheinaufwärts. Immerhin, eine Besonderheit der Stadt hat er schon entdeckt: die enge Verbindung von Koblenz mit der Bundeswehr, die sich in Details wie einem Kiosk äußert, der Spielzeug mit Militärbezug anbietet. Mit solch einem genauen Blick schaut er auf alle Städte, in denen er bislang wohnte: „Berlin war die Metropole, eine gewisse Entspanntheit, eine gewisse harte Herzlichkeit. Graz ist die Stadt, wo die österreichischen Beamten im Ruhestand hinziehen. Bonn ist die Stadt, wo die deutschen Beamten vor dem Ruhestand arbeiten.“ Er lacht. Und Koblenz? Das Militär? Die Lebenslust? Der Wein? Eschweiler wird noch entdecken, dass es da noch mehr gibt.

Text: Falk Schreiber