Kulturjournalistin Christina Körner sprach vor der Premiere mit Choreograf Steffen Fuchs und Dorit Lievenbrück, verantwortlich für Bühne und Kostüme, über das Konzept zum neuen Ballett „Im goldenen Schloss“.
Eingespielt wird im Februar 2023, im großen Saal des Koblenzer Theaters, frühe Barockmusik von Johann Sebastian Bach, und Werke seiner Söhne, Wilhelm Friedemann Bach und Carl Philipp Emanuel Bach, die musikalisch im Spätbarock angesiedelt sind. Demzufolge sind wir gedanklich in der Zeit Ludwig des XIV., dem Sonnenkönig, gelandet. Barocke Fürsten ließen sich Paläste und Gärten aus reiner Selbstverherrlichung errichten. Räume und Säle – denken wir an das Schloss in Versailles – das 10.000 Personen Platz bot, dienten mit ihren Gipsskulpturen, großflächigen Wand- und Deckenmalereien der Selbstinszenierung und als Kulisse. Das einfallende Licht wurde als gestalterisches Mittel eingesetzt.
Die Bälle des 17. Jahrhunderts waren zu denen unserer Tage grundverschieden. Man forderte sich nicht zum Tanzen auf, sondern der Zeremonienmeister bestimmte ein Paar, welches tanzen sollte. Auf dem tanzenden Paar lagen die Augen aller Zuschauer. Und so sind wir wieder zurück im Heute, auf der Bühne in Koblenz: Wir sehen zu, wie in dem aktuellen Ballett „Im goldenen Schloss“ eine Welt zusammenkommt, in der Bewegung und Musik sowie Bühnenbild und Kostüm, aufs vortrefflichste den Charakter des Stückes unterstreicht. Und uns für 75 Minuten aus der Realität entführt.
Christina Körner: In deinem neuen Ballett „Im goldenen Schloss“ geht es um Barock. Das Ballett „Ridicule“, vor rund elf Jahren hier aufgeführt, war dein erstes Barockstück als Ballettchef – und erfolgreich obendrein. Was magst du am Barock?
Steffen Fuchs: Es war geplant, dass ich zu meinem 10-jährigen Jubiläum im Koblenzer Theater ein Barockstück aufführe. Aber uns kam die Pandemie dazwischen. Die Musik stand fest, ein Konzept für Kostüme und Bühne ebenfalls, aber die Choreografie noch nicht. Klar war nur, ein „Riducule-Reloaded“ durfte es nicht sein. Später hörte ich ein Musikstück und war begeistert – es war Bach. Aber nicht Johann Sebastian Bach, sondern sein Sohn Carl Philip Emanuel Bach. Das Spirituelle in Bachs Musik ist sehr reizvoll. Außerdem will Barockmusik immer unterhalten, auch wenn sie aus dem kirchlichen Bereich kommt.
Christina Körner: Genialität hat sich in der Familie Bach wohl vererbt. Obgleich das Magnificat kirchlich ist, handelt es sich doch um Musik, die mitreißen soll mit Cembalo, Klavier, Chor usw.
Steffen Fuchs: Ja, in dem Fall sicher. Die Musik des Barock hat genaue kompositorische Regeln und eine hohe musikalische Virtuosität. Aber wir wollen ja nicht das Publikum im Sinne der Musikgeschichte belehren. Barock ist eine Epoche, die mich schon lange begleitet.
Christina Körner: Wie gehst du bei der Konzeption vor? „Im goldenen Schloss“ ist ein symphonisches Stück. Also geht es mehr um die Auseinandersetzung mit der Klangwelt. Darum, Emotionen zu zeigen. Im Gegensatz zu einem Handlungsballett wie „Nussknacker“ oder „Schwanensee“, wo die Handlung „nacherzählt“ werden soll.
Steffen Fuchs: Rund zwei bis zweieinhalb Jahre vorher hatte ich die Musik bereits im Kopf. Bei symphonischen Stücken stelle ich mir dann das Koblenzer Ballettensemble, bestehend aus acht Frauen und acht Männern, vor dem inneren Auge vor. Ich frage mich: Welche Tänzer habe ich? Wer könnte was tanzen? Zu wem würde was passen? Wenn die Musik dann ein Teil von mir geworden ist, geht das Choreografieren recht schnell.
Christina Körner: Ok, und wie gehst du dann weiter vor?
Steffen Fuchs: 95 Prozent der Choreografie ist von mir. Ich zeige, tanze vor, mache deutlich, was ich will. Der Vorteil: Ich bekomme eine ganz schnelle Rückmeldung – ich sehe was funktioniert, und was nicht. Ich kann sofort mit der Limitation umgehen und kann diese umsetzen. Ich will nicht nur Schritte sehen, sondern ein Gefühl, ein Bild muss entstehen.
Christina Körner: Und wann weißt du, es ist gut, es ist „fertig“?
Steffen Fuchs: Wenn ich sehe, das ist aus mir „herausgekommen“ – das sind nicht mehr meine Schritte. Wenn ich sehe, wie heute, kurz vor der Premiere: Das Stück wurde von den Tänzerinnen und Tänzer so adaptiert, dass es ihr Stück geworden ist. Dann kann ich loslassen.
Christina Körner: Erzähl mir doch etwas zu deiner Art der Choreografie. Ich habe von dir die Aussage gelesen, „in den Augenblicken, in denen die Präzision des Wortes nicht mehr für die Beschreibung eines emotionalen Zustandes ausreicht, kann der Tanz alles erzählen“.
Steffen Fuchs: Richtig, denn gerade die deutsche Sprache ist gut in der Beschreibung von Vorgängen. Aber nicht so gut in der Beschreibung von Gefühlen.
Christina Körner: Heute wird oft von Genderfluidität gesprochen. Du zeigst alle Männer im Rock. Dennoch wirken die Tänzer maskulin, mit den schmalen Oberteilen und dem streng am Kopf anliegenden Haar.
Steffen Fuchs: Auch wenn die Männer Röcken tragen, heben wir eine klassische Geschlechterverteilung nicht auf. In erster Linie dient der Rock an Männern dazu, ein Eigenleben zu führen, indem er als stilistisches Mittel eingesetzt wird. Es schafft zusätzlich Raum um die tanzende Person herum.
Christina Körner: Was ist an dem Stück „neoklassisch“?
Steffen Fuchs: Nun, die Neoklassik beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts und ich komme aus der Neoklassik. Wir sind eine neoklassische Company. Das bedeutet nicht nur Spitzentanz, sondern auch der Tanz auf dem flachen Fuß. Wir haben beispielsweise Szenen von Tänzerinnen ganz klassisch in Spitzenschuhen getanzt und auch die typische männliche Art mit hohen Sprüngen, in engen Hosen, die die ganze Bühne ausnutzen, zeigen wir. Aber dann auch wieder die Anklänge an Ironie oder ein Versteckspiel, eine abendliche Pyjamaparty ….
Christina Körner: Das Stück läuft jetzt erstmal bis Mai 2023. Was soll das Ballett bewirken, was ist dein Ziel?
Steffen Fuchs: Mir wäre wichtig, dass das Stück bei Betrachterinnen und Betrachtern Herz und Augen öffnen. Und der Zuschauer soll nicht verzweifelt eine Handlung suchen.
Christina Körner: Ich könnte einfach raten: Wer rund 70 Minuten schöne, stilvolle Menschen beim Tanzen sehen will, eine stimmige Choreografie und mitreißender Musik hören will: Dann auf ins Goldene Schloss.
In der Barockzeit waren die Männer das Geschlecht, was sich „putzte“. Die Kleidung bot genug Platz für Stickereien, Rüschen, Stofffülle aus Seide, Spitzenkrawatten und Manschetten. Hohe Absätze, Stöckelschuhe, gehörten zum Erscheinungsbild des Mannes, pink und rosa waren die angesagten Farben der Männerkleidung, Hellblau für die Frauen.
Das Koblenzer Ballettensemble tanzt in langen Röcken, transparenten Stoffen, plissiert, mit Federn besetzt, matt changierend, glänzend in rauchigen Pastellfarben wie zartem Grün, Weiß-Creme, Grau-Greige sowie Rosa.
Christina Körner: Das Bühnenbild ist schlicht, aber ein Hingucker: Eyecatcher auf der Bühne ist die Rückwand aus goldener Folie. Sie wird mit Licht angestrahlt, erscheint mal warm in Kupfertönen mit Pink oder Lila, sowie kühl in Petrol-Blau angestrahlt. Ein glitzernder Kronleuchter akzentuiert die Bühne. Trompe-l’œil-Malerei schafft den Eindruck von antikem Gemäuer mit Kreuzgewölbe und barocken Spiegelschränken.
Dorit Lievenbrück: Ich wollte die morbide Räumlichkeit der Plätze und Schlösser zeigen, den Ball- oder Festsaal, die blinden Spiegel, den alten Holzschrank, die großen Türen und der Staub, der sich bereits auf das Ganze gelegt hat. Mir war klar, dass ich nicht auf kraftvolle Farb-Gegensätze setze. Sondern das Zusammenspiel, das Harmonische, das Pudrige des Barock aufgreifend, will ich zeigen.
Christina Körner: Durch die goldene Rückwand gelingt es Ihnen, den funkelnden Leuchter und die Sprache der Beleuchtung, das Stück und die Dramaturgie zu lenken und die einzelnen Szenen immer wieder neu zu definieren. Musik und Szene gehen dadurch klar und verständlich eine Symbiose ein.
Dorit Lievenbrück: Ja, es ist gelungen durch die goldene Rückwand den Glanz auf die Kostüme „abzugeben“ aber auch umgekehrt: die Stoffe reflektieren auf der Rückwand. Ganz wichtig ist die Wahl der Kleidung, lange Röcke sowohl für die Frauen, als auch für die Männer. Transparente Stoffe, glänzende aber auch matte und changierende Stoffe oder mit Rüschen besetzt. Ich habe in einzelnen Szenen Schwarz eingesetzt. Durch die Wahl einer schwarzen Männerhose konnte ich eine härtere Männlichkeit zeigen. Oder den Gegensatz zum Gold im Hintergrund verstärken, um dadurch dem Tanz einen eigenen Charakter zu geben.
Christina Körner: Sie haben, nicht wie im Barock üblich, auf Perücken verzichtet. Dafür wurden Gesicht und Haare akzentuiert.
Dorit Lievenbrück: Die Haare sind eng am Kopf „gezähmt“ bei beiden Geschlechtern und dann bricht es nur im unteren Teil, als gekräuseltes gekrepptes Haarvolumen, heraus. Auch das Rouge unterstreicht nicht klassisch die Wangenknochen, sondern stellt Zweifarbigkeit und expressive Schatten im Gesicht der Tänzer her.
Christina Körner: Wie gingen Sie vor, beim Konzeptionsprozess, bei der Gestaltung der Oberflächen?
Dorit Lievenbrück: Ich bekomme von Steffen die Musik. Die höre ich mir an, dann sprechen wir. Anschließend entsteht eine Welt in meiner Fantasie: Es kommt der Raum hinzu, das Gold, was passiert in den Räumen, was möchte man im Schloss sehen …. ich lass mich von der Haute Couture inspirieren. Dann schicke ich Mood Boards an Steffen.
Steffen Fuchs: … und dann entsteht Schritt für Schritt etwas Neues
Dorit Lievenbrück: …. und plötzlich passen Kostüme, Schritte und Licht zusammen.
Interview: Christina Körner
Fotos: Matthias Baus