In die Rolle eines Pavians schlüpft der Schauspieler Reinhard Riecke. Der Affe ist eines der Fabelwesen in Jens Raschkes Kinderstück „Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute“. Für Kinder ab zehn Jahren hat der Autor das Stück geschrieben, das die dunkle Geschichte des Nationalsozialismus aus ungewohnter Perspektive beleuchtet. Denn nicht Menschen, sondern Tiere beobachten die brutale Gewalt gegen die Gefangenen. Opfer sind sie alle. Mit ruhiger, sonorer Stimme spricht der Schauspieler von den Gräueltaten der „Gestiefelten“, die er von den Gittern des Zoos im Konzentrationslagers Buchenwald aus sieht. Längst ist der Anblick für ihn alltäglich geworden. Doch statt sich zu wehren, lässt er seinen Papa Pavian abtauchen. Möglichst unauffällig will er sich verhalten, damit er den brutalen Nazi-Schergen ja nicht auffällt. Mit dieser Strategie scheint ihm sein Leben in Gefangenschaft immerhin erträglich.
Am Theater Koblenz inszeniert Regisseur Eberhard Köhler das Stück für Kinder ab zehn Jahren. Ihn interessieren die Fabelwesen, die Raschke ersonnen hat. Aber ebenso hat er die Geschichte des KZ-Zoos im Blick, den in den 40er-Jahren auch die Menschen im wenige Kilometer entfernten Weimar besucht haben. Mit seinen vier Schauspielern bringt Köhler die Tiere des Konzentrationslager-Zoos auf die Bühne, die für bestimmte Typen von Menschen stehen. Dieser darstellerische Spagat reizt den Regisseur, der an der Universität der Künste in Berlin angehende Theaterpädagogen in den Fächern Schauspiel, Regie und Labor unterrichtet.
Als Murmeltiermädchen zeigt Jana Gwosdek ein Fabelwesen, das in den Winterschlaf fällt. Danach hat es alles vergessen. Raphaela Crossey als ihre Mama behütet die Kleine, und kann sie doch vor Gewalt und Schrecken nicht beschützen. In diese Welt des Verdrängens und Vergessens platzt der Bär, der sich mit der Gefangenschaft nicht abfinden will. Christof Maria Kaiser zeigt seinen Kampf mit wütender Kraft. Für ihre Rollenstudien nahmen die Spielerinnen und Spieler Anschauungsunterricht im Tierpark. „Wir erzählen die Geschichte der Tiere des Zoos, den es in Buchenwald tatsächlich gegeben hat“, bringt Dramaturgin Nathalie Thomann das Regiekonzept auf den Punkt. Das sei historische Tatsache, nicht erdachte Grundlage. Menschen tauchen in dieser Welt nur in der Form von Puppen auf.
In Raschkes Text sieht Regisseur Köhler „unterschiedliche Reflektionsebenen“, die er dem jungen Publikum wie auch den Erwachsenen nahebringen will. Dabei geht er bewusst über den Text hinaus, in dem er gerade zwischen den Zeilen große poetische Momente entdeckt. Obwohl Köhler dokumentarisches Material in Wort, Bild und Musik einfließen lässt, bewegt sich seine Ästhetik weg von den Fakten: „Es ist keine Geschichtsstunde.“ In den Proben ist auch der Tänzer und Choreograf Rory Stead dabei, um dieses visuelle Konzept mit Köhler und seinem Regieteam zu entwickeln. Bühnenbildnerin Vesna Hiltmann schafft dafür einen Raum.
Die Anregung, Jens Raschkes Text auf den Spielplan zu setzen, kam vom Team der Theaterpädagogik. Wie vermittelt Andrea C. Junglas den schwierigen Stoff gerade einem jungen Publikum? „Es ist wichtig, Schülerinnen und Schüler mit diesem dunklen Thema der deutschen Geschichte zu konfrontieren“, findet die Referentin für Schule und Theater. In den Medien würden sie auch schon früh mit Krieg und Gewalt konfrontiert. „Aber man darf die Kinder und Jugendlichen damit nicht alleine lassen.“ Dann könne die Bühne helfen, das Unfassbare zu verstehen. Wie das Stück auf Kinder wirkt, loten das Regieteam und die Schauspieler mit ihrer Patenklasse aus. Die Sechstklässler aus Dieburg waren bei einer Probe dabei. Sie hätten wichtige Impulse geliefert, ist Junglas überzeugt.
Um Raschkes schwierigen Stoff zu vermitteln, macht das Theater Kommunikationsangebote auf allen Ebenen. Neben einem ausführlichen Begleitheft bietet das Theater Koblenz ein Rahmenprogramm für Schulklassen an, das neben einer Einführung in das Stück auch eine spielpraktische Nachbereitung umfasst. Andrea C. Junglas hofft, dass viele Familien die Chance nutzen, das Stück gemeinsam zu sehen. „Wie unterschiedlich das Wissen über die Zeit des Nationalsozialismus ist, haben wir selbst in den Proben erlebt“, sagt die junge Theaterpädagogin. In Familienworkshops am 1. Februar, 10 bis 11.30 Uhr, sowie am 8. Februar, 15 bis 16.30 Uhr, will sie diese Gespräche mit Zuschauerinnen und Zuschauern aller Generationen vertiefen (Anmeldung: theaterpaedagogik@theater-koblenz.de).
Text: Elisabeth Maier
Fotos: Anja Merfeld