Das Projekt „VRona. Ein Romeo-und-Julia-Setting“ hat das Theater Koblenz mit Studierenden der Computervisualistik am Institut für Kunstwissenschaft der Universität Koblenz entwickelt
Mit Julia auf dem Balkon des Palazzo in Verona stehen? Unten auf dem Platz erklärt Romeo seiner jungen Angebeteten, was es bedeutet, einen Menschen von ganzem Herzen zu lieben. Mit ihren Controllern dürfen die Zuschauerinnen und Zuschauer an dieser leidenschaftlichen Szene teilhaben. Und das hautnah. Sie schweben durch eine Kulisse, die mit historischen Mauern, gepflasterten Plätzen und Pflanzen so realistisch aussieht wie in einem Computerspiel. Plötzlich steht man direkt neben den großen Gliederpuppen, die Shakespeares Liebensgeschichte in unterschiedlichen Versionen erzählen. Dabei sitzen die Gäste mit ihren VR-Brillen auf bequemen Plastiksesseln. Wenige Fingerbewegungen genügen, um sich ganz nah an die Liebenden heranzupirschen. Oder um sich in den hintersten Winkel der Gruft zu verkriechen.
Ästhetisch innovative Wege auf der Probebühne 4
„VRona. Ein Romeo-und-Julia-Setting“ heißt die neue Produktion des Theaters Koblenz, die am 30. Oktober auf der Probebühne 4 Premiere hat. Schon der Untertitel „Puppentheater meets Digital Arts“ verrät, dass die Sparte des Theaters Koblenz ästhetisch innovative Wege beschreitet. Die Kooperation mit der Universität Koblenz-Landau macht das spannende Forschungsprojekt möglich. Dr. Markus Lohoff, Leiter des Arbeitsbereichs Digitale Medien am Institut für Kunstwissenschaft, hat die virtuellen Szenenbilder mit seinen Studierenden entwickelt und umgesetzt. Der Autor Thilo Reffert, bekannt vor allem für seine Jugendstücke, hat einen Text geschrieben, der dem Publikum Spielraum lässt, die Liebesgeschichte selbst weiterzudenken.
„Von der Zusammenarbeit mit den Studierenden profitieren wir sehr“, findet Svea Schiedung. In gemeinsamen Sitzungen, die meist digital stattfanden, hat sie das Projekt mit entwickelt. „Es war wichtig, aber manchmal auch nicht ganz einfach, die VR-Experten mit den Anforderungen des Puppenspiels zu konfrontieren.“ Das sieht auch ihre Kollegin Anastasiia Staradubova so: „Schön, dass wir da eine gemeinsame Sprache gefunden haben.“ In einem weißen Space wenden sich die Spielerinnen immer wieder ans Publikum. So verbinden sie Livetheater mit den Erlebnissen in der digitalen Wirklichkeit. Reizvoll fanden es beide Spielerinnen, sich mit der Computervisualistik vertraut zu machen. „Die Gliederpuppen mit dem Controller zu bewegen, das ist eine Herausforderung“, blickt Svea Schiedung auf den Probenprozess zurück. „Fordernd war das“, findet auch Anastasiia Staradubova. Das Projekt hat die Künstlerinnen, die an der Ernst-Busch-Schule in Berlin studiert haben, inspiriert. Figurentheater und digitale Medien zu verbinden, das reizt die beiden.
Theater weiterentwickeln auf der Basis digitaler Medien
Nicht nur die Computerspiel-Generation soll in die virtuellen Welten eintauchen, wünscht sich Markus Dietze. Der Intendant des Theaters Koblenz hat während der Lockdowns in Zeiten der Corona-Pandemie viele neue digitale Formate entwickelt, um dem Publikum das Theater auch an die Bildschirme daheim zu bringen. Die Ästhetik des Theaters auf der Basis digitaler Medien weiterzuentwickeln, das reizt den Opern- und Schauspielregisseur auch langfristig. Dem Publikum mit den VR-Brillen neue Einblicke zu erschließen, betrachtet er als nachhaltiges Projekt, das er am Theater Koblenz auch künftig erforschen möchte: „Demnächst kommen die VR-Brillen bei unserer Ballettsparte zum Einsatz.“
Wie lässt sich Shakespeares dramatisches Universum in Pixel und Computerbilder übersetzen?
Die Studierenden Jeldrik Bailer und Julien Rodewald haben mit ihren Studienkolleginnen und -kollegen Spielfiguren entwickelt, die das Publikum nun über die Controller in ihren Händen steuern dürfen. Virtuelle Hände lassen sich über die Regler bewegen. Damit packt man die Puppen an, lässt Pater Lorenzo tanzen oder kickt den schrulligen Grafen Paris, der Julia heiraten möchte, einfach ins Universum. Die fantasievollen Kostüme haben Gulshan Alizada und Jonas Olesen entworfen. Julias goldblondes Haar ist ebenso fein gearbeitet wie die aufwändigen Anzüge der Männer.
Die szenische Inszenierung der virtuellen Welten orientiert sich an der italienischen Pittura Metafisica und wurde von Markus Lohoff und seinem studentischen Team im postmodernen Vaporwave Style neu interpretiert. In eklektizistischer Manier werden hier historische und moderne Versatzstücke der jeweiligen Szenen in grandiose Pixel-Bilder übertragen. Die Ausstatterin Claudia Rüll Calame-Rosset greift die Ästhetik der virtuellen Welten auf und entwickelt sie in der Ausgestaltung des analogen Bühnenraums weiter. Auch da hat sich die Zusammenarbeit von Universität und Bühne an „VRona. Ein Romeo-und-Julia-Setting“ bewährt.
„Das Setting weckt Spiellust und Kreativität“, findet Andrea Caroline Junglas. Die Theaterpädagogin bietet parallel zu dem Projekt Workshops für Schulklassen an. Sie findet es wichtig, Schülerinnen und Schüler mit den Möglichkeiten der Computervisualistik vertraut zu machen. „Aber digitale Medien haben eben auch Grenzen“, ist sie überzeugt. Da biete das Theater die große Chance, das Publikum mit Live-Erlebnissen zu berühren. Gerade den älteren Zuschauerinnen und Zuschauern möchte Junglas Lust machen, sich auf Theater und Digitale Medien einzulassen, und sie mit einführenden Einheiten mit der Technik vertraut machen: „Das bietet ganz neue Perspektiven und Möglichkeiten.“