Übers Wetter reden ist politisch

11. Oktober 2022 · von Sara Schurmann

Im Gedächtnis bleibt jedoch eher das Dilemma, dass wir genau das einfach nicht tun. Einer der Gründe dafür, zeigt das Stück: Wir nutzen dieselben Worte, aber wir reden aneinander vorbei. Ein Blogbeitrag der Klimajournalistin Sara Schurmann

Ein Blogbeitrag von der Klimajournalistin Sara Schurmann

Übers Wetter reden ist politisch. Was lange Zeit als unverfänglicher Gesprächseinstieg galt, hat mittlerweile das Potential, die Stimmung in eigentlich harmlosen Gesprächen unvermittelt zu kippen.

Wenn sich einige im Freundeskreis ohne große Hintergedanken über „schönes Wetter” freuen, macht das diejenigen wütend, die sich sorgen, weil es viel zu warm ist für die Jahreszeit. Wenn sich eine Kollegin darüber beschwert, dass der Regen ihr den Arbeitsweg erschwert hat, weist oft jemand anderes sofort darauf hin, dass es noch viel länger regnen müsste, um die Dürre in den tiefer liegenden Erdschichten wieder auszugleichen.

Fred Follmer ist Meteorologe und Anchorman in der Wetterredaktion eines renommierten Fernsehsenders. An kaum jemanden wird klarer, dass Wetter mehr ist als ein Wechsel aus Regen und Sonnenschein. „Und jetzt das Wetter” am Theater Koblenz zeigt, wie die Klimakrise alle Bereiche des Lebens erreicht hat, wenn man sich auf sie einlässt. Freds innere, private und berufliche Konflikte veranschaulichen, was es bedeutet, zwischen Alltag und historischer Ausnahmesituation zu balancieren. Wir alle tun das, einige bewusster, andere weniger bewusst. Fred ist es mittlerweile schmerzhaft bewusst.

Dass das Wetter politisch ist, spürt er nicht nur bei Gesprächen in der Kantine, sondern auch in der Redaktion und der Familie. Dabei hatte er sich bei der Wahl seines Studiums noch ganz bewusst für etwas entschieden, das mit Politik nichts zu tun hatte. Natürlich war damals schon bekannt, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt – dass sich die Krise einmal derart zuspitzen könnte, hätte er damals aber selbst nicht für möglich gehalten.

Noch weniger, dass sich kaum jemand ernsthaft dafür zu interessieren scheint. Und dass Menschen angesichts einer so überwältigenden Faktenlage so schwer dazu zu bewegen sein könnten, zu handeln.

Diese Ignoranz macht ihn heute rasend. In seinem Job, der oft nur als einer wahrgenommen wird, der voraussagt, ob man am nächsten Tag trocken zur Arbeit kommt, oder unbesorgt einen Familienausflug planen kann, hält er es nicht mehr aus, übers Wetter zu reden – und übers Klima zu schweigen. In der kurzen Zeit auf den Bildschirmen der Nation, die ihm jeden Tag zur Verfügung steht, versucht er, die Wetterentwicklungen nicht nur zu benennen, sondern auch zu erklären.

Und auch, wenn er damit nur Fakten über physikalische Zusammenhänge präsentiert, führt das zu Auseinandersetzungen. Mit seinem Vorgesetzten, seiner 19-jährigen Tochter und dem Barkeeper seiner Stammkneipe.

Doch wenn das Wetter politisch ist, wie sprechen wir dann darüber? Sprechen wir über Golfstrom, PPM und IPCC? Oder über die Versorgung mit Trinkwasser und Lebensmitteln? Und die Sicherheit unserer Zuhause?

Fred versucht eine Balance. Er erklärt einerseits Physik und warnt andererseits vor konkreten Gefahren. Er versucht im Fernsehen freundlich rüberzukommen und gleichzeitig eindringlich. Damit anderen klarer wird, wie wichtig Politik ist – ohne dass er es ausspricht.

Seiner Tochter ist das oft zu wenig. Sie kämpft in diversen aktivistischen Gruppen für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen; für ihr Recht, eine Chance auf Zukunft. „Wir sind alle Kinder”, sagt Fred. „Nur die Kinder nicht.” Dass das Klima keine Krise neben anderen, kein Thema unter vielen ist – sondern als Dimension mit allem und jedem verknüpft. Das versuchen die Kinder noch immer friedlich zu transportieren, doch das werde nicht so bleiben, da ist sich Fred sicher.

Ob sie keine Angst habe, fragt er seine Tochter. „Nee. Wovor?”, fragt sie zurück. „Polizeigewalt? Untersuchungshaft? Achso, ja, ‘n bisschen. Aber die ist nichts, gegen die Angst, die ich habe, wenn ich nichts mache.”

Dass Fred versucht, einen Teil dieser Realität in die Wohnzimmer des Landes zu bringen, ist seinem Chef zu viel. „Dafür haben wir keine Zeit”, sagt der, oder: „Bitte, überfordern Sie mir die Leute nicht.”

Aber über Kriege und andere Katastrophen berichten wir doch auch, verteidigt sich Fred:
weil wir die Wahrheit für zumutbar halten. Warum ist das in der Klimakrise so anders?

„Weil Menschen, die Entscheidungen treffen – Menschen wie Sie –, das immer noch nicht begriffen haben”, beantwortet Fred die Frage selbst. “Es geht mir darum, dass Sie Ihre Verantwortung nicht erkennen. Jetzt ist der Zeitpunkt, in den Katastrophenmodus zu schalten.”

Im Monolog des Meteorologen Fred Follmer will der Autor und Regisseur Stefan Wipplinger das Dilemma zwischen wissenschaftlicher Expertise und täglicher Routine spürbar machen. Das gelingt dem Stück nicht nur aufgrund der eingehenden Recherche, sondern auch dank der Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Marcel Hoffmann. Hoffmann hat vor der Schauspielausbildung Geophysik studiert, die inneren und äußeren Konflikte des Fred Follmer macht er auf der Bühne glaubhaft und berührend spürbar.

„Übers Wetter reden ist politisch”, eröffnet Fred Follmer seinen Monolog dort. „Es bedeutet, unangenehme Dinge auszusprechen.” Das schafft „Und jetzt das Wetter” auf überraschend angenehme Art. Im Vordergrund steht weniger die Katastrophe, auf die wir in absehbarer Zeit zusteuern und die sich immer stärker heute schon zeigt. Eine Katastrophe offenbar nur schwer vorstellbaren Ausmaßes, die wir abwenden oder zumindest abbremsen könnten, wenn wir ernsthaft wollten.

Im Gedächtnis bleibt eher das Dilemma, dass wir genau das einfach nicht tun. Einer der Gründe dafür, zeigt das Stück: Wir nutzen dieselben Worte, aber wir reden aneinander vorbei. Und es wirft eine Frage auf, die einerseits jede:r für sich beantwortet und andererseits weitreichende gesellschaftliche Implikationen hat: „Wollen Sie es verstehen?”

Die Antwort darauf ist nicht einfach privat. Sie ist, ja, politisch.

Über Sara Schurmann

Sara Schurmann arbeitet als freie Journalistin und Trainerin. In der Vergangenheit war sie unter anderem als Redaktionsleiterin, Textchefin und Beraterin tätig für den Tagesspiegel, Gruner+Jahr, Vice, Zeit Online, funk und den SWR. Zuvor besuchte sie die Henri-Nannen-Schule für Journalismus in Hamburg. 2020 schrieb sie einen offenen Brief an ihre Kolleg:innen, um eine Diskussion über die Klima-Berichterstattung anzustoßen; im Sommer 2021 gründetet sie das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland mit. 2022 erschien ihr erstes Buch „Klartext Klima“.

Die Videokonferenz zum Interview

Das Gespräch mit der Klimajournalistin Sara Schurmann, Dramaturgin Juliane Wulfgramm, Autor und Regisseur Stefan Wipplinger und Marcel Hoffmann haben sie online geführt: